Stephane Hessel - ein gluecklicher Rebell
Bürgerrechte gelten keine Grenzen, so das Motto.
Im Laufe des Jahres 2008 wurde Stéphane Hessel in Frankreich zu einer festen Größe in der öffentlichen Wahrnehmung. Am 5. Dezember 2008, immer noch im Zusammenhang mit dem UNO-Jubiläum, druckte
Le Monde
ein schönes Porträt von Stéphane Hessel unter dem Titel
L’universaliste joyeux
(Der fröhliche Universalist). Neben allgemeinen Sätzen zu den Menschenrechten fand sich hier schon die heftige Kritik Hessels an der Politik Israels, das jeden Friedensplan im Nahen Osten verhindern wolle. Doch es finden sich auch Aussagen, die irritierende Nebentöne enthalten: »Ich kenne die Entgleisungen des Judentums zu genau, um nicht zu wissen, dass es dort eine apokalyptische Versuchung gibt, eine Art finstere Weltsicht, unter der die Israelis nicht weniger leiden als die Palästinenser.« In diesem Fall galt seine Kritik vor allem dem israelischen Staatspräsidenten Peres. Vielleicht war es bei Hessel auch die Enttäuschung darüber, dass er in diesem Konflikt mit seinen Methoden nicht weiterkam: »Ich bin gescheitert. Hier gibt es etwas, das meine Möglichkeiten übersteigt«, musste er eingestehen.
Im Übrigen hat Stéphane Hessel auch immer wieder Frankreich kritisiert. Das Land, das sich als Heimat der Menschenrechte verstehe, sei nicht eben vorbildlich auf diesem Gebiet. Das zeige sich an der Behandlung der Immigranten und seiner Abschiebepraxis, die im Jahr 2007 vom Europäischen Gerichtshof verurteilt wurde. Er hat es in allen Interviews rings um den Dezember 2008 wiederholt.
In diesem Jahr 2008, in dem er massiv in der Presse präsentwar, erhielt Stéphane Hessel eine besondere Auszeichnung, den Prix Jean Zay, der verdiente Träger der republikanisch-laizistischen Ideale auszeichnet und mit der symbolischen Summe von 1905 Euro dotiert ist (in Erinnerung an das Jahr 1905, in dem die Dritte Republik die Trennung von Staat und Kirche beschloss).
Der Eingewanderte vertrat deutlicher als andere den universellen Anspruch Frankreichs, er ist keineswegs ein auf Frankreich beschränkter Politiker. Deshalb auch trat er für den »Bürger ohne Grenzen« ein. Jeder Mensch solle eine Staatsbürgerschaft besitzen, es solle keine Staatenlosenpässe mehr geben wie zur Zeit des Völkerbunds zwischen 1919 und dem Zweiten Weltkrieg. Aber jeder Mensch müsse sich zugleich als freier und verantwortungsbewusster Weltbürger begreifen.
Hessel war beunruhigt, dass nach dem 11. September 2001 nicht nur mehr Kriege geführt wurden, sondern dass sich auch die Einstellung gegenüber der Folter verändert hatte, dass sie von einigen Staaten, leider auch von den USA, als legitimes Mittel angesehen wurde. Das war ein empfindlicher Rückschlag. Schon 1986 war die Weltorganisation gegen Folter (OMCT) gegründet worden, die derzeit vom ehemaligen Generalsekretär der UNO, Kofi Annan, geleitet wird. Ihr Anliegen ist es auch, weltweit unwürdige Arbeitsbedingungen abzuschaffen.
Bei der steten Berufung auf die universelle Erklärung der Menschenrechte von 1948 ist für Hessel deren erster Artikel von zentraler Bedeutung: »Alle Menschen werden frei geboren und besitzen die gleiche Würde und die gleichen Rechte.« Hier liegt die Wurzel seines Kernbegriffs der »dignité« und der Aufforderung: »Indignez-vous« – Empört Euch! –, wenn ihr (auch bei anderen) die Menschenwürde verletzt seht.
Ähnliche Thesen vertrat Hessel am 21. Dezember 2008, als er von Serge Moati in der Fernsehsendung
Face à face
interviewtwurde. Unter den für ihn vordringlichen Themen nannte er die Lösung des Nahostkonflikts, sein größtes Anliegen. Aus Liebe zu Israel wolle er eine Friedenslösung, denn die sei wichtig für Israels Stabilität, die aber könne es nicht geben ohne einen Palästinenserstaat.
Doch bereits 2008 waren die Stimmen von Kritikern zu hören: Hessel sei in seiner Berufung auf die Menschenrechte einseitig. Es ging natürlich um seine Stellungnahmen zu Israel. »Man hat die Ikonen losgelassen«, schrieb der Journalist Jean-Paul de Belmont am 11. Dezember 2008 (in
Primo
), wobei er auch auf den Amerikaner Noam Chomsky anspielte. Hessels Universalismus sei sehr selektiv, nämlich zugunsten der Palästinenser und gegen Israel. Und deswegen sei es ein Skandal, dass man gerade ihn bei der Feier zum 60. Jahrestag der UNO-Erklärung so herausgestellt habe. Diese Verirrung erkläre sich allein durch einen Kult der Ikonen. Aber derartige Pazifisten hätten immer nur den Keim für künftige
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