Stephane Hessel - ein gluecklicher Rebell
Konflikte gelegt. Damit waren Ton und Stoßrichtung für spätere Kritiken vorgegeben.
Eine entscheidende Etappe auf dem Weg zum universellen Empörer stellte ein Jubiläum im Jahr darauf dar; Stéphane Hessel hat es immer verstanden, Jahrestage und ähnliche feierliche Anlässe zu deutlichen Interventionen zu nutzen, als Etappen eines Kampfes, der doch eher zufällig schien. Allerdings reagierte er damit auch auf Versuche des 2007 gewählten Präsidenten Nicolas Sarkozy, historische Daten und Orte, gerade auch solche der Résistance, für wirksame Auftritte zu nutzen. Das Geschichtsbewusstsein und der symbolische Rückbezug auf die nationalen Erinnerungsorte ist in Frankreich immer schon eine politische Angelegenheit gewesen.
Einer dieser mythischen Orte ist ein Hochplateau in den Savoyer Alpen, das Plateau des Glières, wo zwischen Januar und März 1944 englische Flugzeuge mit Fallschirmen großeMengen von Waffen und Munition abwarfen, die für die kämpfenden Einheiten des Untergrunds gedacht waren, des sogenannten Maquis, dem allein in dieser Region über 3000 Kämpfer angehörten. Der starke Zulauf seit 1943 war eine Folge der Zwangsrekrutierung französischer Arbeiter für die deutsche Rüstungsindustrie. Mit dem Ort in 1400 Metern Höhe, 30 Kilometer nordöstlich von Annecy gelegen, verbindet sich ein großer Erfolg des Widerstands, der hier bei der Befreiung eine wichtige Rolle spielte und nur wenige eigene Kräfte verlor. (Mit dem Maquis in Savoyen hatte es ja auch Stéphane Hessels Bruder Ulrich im Sommer 1944 zu tun bekommen.)
Als Antwort auf Sarkozys Reden und Ehrungen an diesem Ort wurde am 17. Mai 2009 bei strahlendem Sonnenwetter ein »Tag der widerständigen Bürger gestern und heute« veranstaltet, getragen von allerlei Bürgerinitiativen, vor allem aber von Lehrern, die eine neue Schulreform bekämpften. Stéphane Hessel trat als Schirmherr dieser Veranstaltung auf und hielt vor 4000 Menschen eine freie Rede von kaum sieben Minuten, in der er sich als wirksamer und gewitzter Volksredner präsentierte. Fast alle Elemente »meines kleinen Erfolgsbuches«, wie Stéphane Hessel seine Broschüre
Empört Euch!
von 2010 gelegentlich nennt, waren hier schon versammelt. Er bezog sich ausdrücklich auf das Programm des CNR von 1944 und ganz allgemein auf die republikanischen Werte. Er kritisierte die aktuelle Regierung in Paris sehr scharf, bestritt ihre Legitimität, forderte dazu auf, eine neue Legitimität zu schaffen. Er unterstützte den Kampf der kritischen Lehrer, forderte auf zur Gründung eines großen Netzes der Solidarität im Land. Und ganz allgemein sollten alle die Werte »unseres Landes« hochhalten, womit er eine Linie zog von 1789 bis 1948. Er rief zu Ungehorsam auf, zum widerständigen Staatsbürgertum (»citoyenneté résistante«). Man solle sich auch weiterhin empören gegen alles, was nicht hinnehmbar sei. Hierfiel also schon das Schlüsselwort »continuer à s’indigner«. Das sollte noch Folgen haben.
Einen ähnlichen Auftritt hatte Hessel im August 2009 als Ehrengast des Filmfestes im bretonischen Douarnenez. Auch hier forderte er zu zivilem Ungehorsam auf und berief sich auf die Erfahrung der Résistance, auch wenn der Feind heute nicht so klar auszumachen sei. Es sei auch gefährlich, aus dem Islam oder den USA einen gleichsam vorfabrizierten Feind zu machen – den schematischen Antiamerikanismus, der in Frankreich sehr verbreitet ist, wird man bei Hessel nicht finden. Man müsse aber gegen die Ausbeutung des Planeten rebellieren, gegen tagtägliche Ungerechtigkeiten und gegen Intoleranz und Fremdenfeindlichkeit, die in Frankreich noch sehr stark seien. Und auch hier kritisierte er Israel, zumal er mit seiner Frau kurz zuvor einen Besuch in Gaza gemacht hatte. Er plädierte sogar dafür, die verantwortlichen israelischen Politiker in Den Haag vor dem Internationalen Gerichtshof anzuklagen. Man sieht, alle Elemente des Pamphlets sind schon da, es fehlen nur die angemessene Form und der Anlass.
Erwähnen muss man auch diverse Fernsehfeatures seit 2008, die Hessel einer breiteren Öffentlichkeit bekannt machten. Die französische Modeschöpferin und Kunstsammlerin Agnès Troublé alias
agnès b
widmete ihm 2009 eine Nummer ihres in loser Folge erscheinenden und immer einer Person der kulturellen Zeitgeschichte gewidmeten Gratismagazins
Point d’Ironie
. Die Nummer 50 trug den Titel:
La violente espérance de Stéphane
. Der belgische Zeichner Pascal Lemaître, Illustrator
Weitere Kostenlose Bücher