Stephane Hessel - ein gluecklicher Rebell
ersonnen (Daniel Kupper). In Hessels Broschüre wird der
Angelus novus
als Frontispiz vorangestellt, er ist jedoch keine Ikone der Empörung, nicht einmal in Benjamins ganz privater Deutung. Engelszeichnungen ziehen sich durch das gesamte Werk von Paul Klee, mit wechselnden, meist ironischen Titeln.
Der dritte Abschnitt des Pamphlets befasst sich mit der Gleichgültigkeit als der schlimmstmöglichen Haltung in der Politik. Zugestanden wird, dass die Welt komplex und vernetzt ist und somit die Ansätze der Kritik schwerer auszumachen sind. Die vorrangigen Aufgaben seien trotzdem deutlich zu erkennen: die zunehmende Kluft zwischen Arm und Reich, die Lage der Menschenrechte und der Zustand des Planeten. Beim zweiten Punkt kommt Hessel wiederzurück auf seine eigene Tätigkeit und seine Mitwirkung in den Kommissionen, welche bei der UNO den Katalog der Menschenrechte ausgearbeitet haben. Er habe als Büroleiter von Henri Laugier eine gewisse Rolle gespielt, dem für die Menschenrechte zuständigen Vertreter des Generalsekretärs. Allerdings streicht er deutlicher als bei früheren Anlässen die entscheidenden Vorarbeiten des Verfassungsrechtlers René Cassin heraus, Résistance-Mitglied und Gaullist der ersten Stunde, Friedensnobelpreisträger des Jahres 1968. Auf ihn geht die Bezeichnung der Menschenrechte als »universell« zurück (statt nur international), das heißt überall und jederzeit und uneingeschränkt gültig. Man musste den Katalog auch gegen jene Siegermächte des Zweiten Weltkriegs durchsetzen, die sich nicht daran halten und Zustimmung nur heucheln wollten. (Da er hier kein Land nennt, hat man den Eindruck, dass er neben der Sowjetunion auch die USA meint.)
Aus dem Rechtekatalog zitiert Hessel zwei Paragraphen: Jeder Mensch hat das Recht auf eine Staatsangehörigkeit (Artikel 15; das ist hier als Kritik an der französischen Einwanderungspolitik gemeint). Und: Jeder Mensch hat das Recht auf soziale Sicherheit und Respektierung seiner Würde und Freiheit (Artikel 22). Auch wenn diese Paragraphen Absichtserklärungen sind und keinen Rechtsstatus haben, so haben sie doch viele positive Veränderungen in der Welt bewirkt, auch das Entstehen von engagierten Assoziationen wie Attac oder FIDH (Internationale Menschenrechtsföderation) oder Amnesty International.
Der Abschnitt schließt mit dem erneuten Appell an die Jugend, sich umzuschauen und Themen zu finden, für die sich die Empörung lohne, etwa die Einwanderungspolitik oder die Behandlung der Sinti und Roma.
Der vierte Abschnitt ist derjenige, der die stärkste Kritik erfahren hat, weil er zu einem brisanten internationalen Themasehr deutlich und sehr parteiisch Stellung nimmt. »Meine Empörung in der Palästina-Frage« ist er überschrieben. Ausgangspunkt ist der Bericht Richard Goldstones aus dem Jahr 2009, eines südafrikanischen Richters, der selber Jude ist. In dem Bericht beklage Goldstone, dass die israelische Armee bei ihrem Einmarsch in den Gazastreifen Kriegsverbrechen verübt habe. Die Militäroperation Ende 2008/ Anfang 2009 war eine Reaktion auf wiederholte Raketenangriffe auf israelische Ortschaften, die vom Gazastreifen aus verübt wurden.
In der deutschen Ausgabe hinzugefügt wurde die Anmerkung, dass Stéphane Hessel mit seiner Frau Christiane zwischen 2002 und 2009 insgesamt fünf Mal in den Gazastreifen gereist ist, mit Diplomatenpass, aber nicht ohne Schwierigkeiten durch die israelischen Behörden. Sie hätten auch Flüchtlingslager besucht, die Gefängnissen unter freiem Himmel glichen. Das Elend der Flüchtlinge wird benannt, aber auch ihr Lebensmut und ihr Improvisationsgeist werden anerkannt. Etwa 1400 Opfer habe die israelische Militäroperation gekostet, bei »lediglich« 40 verwundeten Israelis. Dann folgen zwei Sätze, an denen sich die Kritik entzündet hat: »Dass Juden Kriegsverbrechen begehen können, ist unerträglich. Leider kennt die Geschichte nicht viele Beispiele von Völkern, die aus ihrer Geschichte lernen können.«
Im nächsten Absatz wird der Terrorismus als inakzeptabel bezeichnet. In der französischen Ausgabe heißt es beschwichtigend, die Hamas habe den Abschuss von Raketen auf israelisches Gebiet nicht verhindern können; in der deutschen Fassung lautet der Text, dass die Raketen »von der Hamas« abgefeuert wurden. Aber es sei unrealistisch, zu erwarten, dass ein Volk, das von einem militärisch überlegenen Gegner besetzt gehalten wird, völlig gewaltlos reagiert. Solche Reaktionen seien
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