Stephane Hessel - ein gluecklicher Rebell
Privatsenders
CanalPlus
am 4. Oktober 2011. Außer den üblichen Kommentaren und seiner Unterstützung für Martine Aubry als Kandidatin der Sozialisten erlebte man, dass dieses Mal nicht Hessel Gedichte aufsagte, sondern die Wetterfee, die unter dem Namen »Solweig« auftritt. In einem sexy Outfit räkelte sich das Orakel mit den langen Beinen lasziv auf dem Tisch vor dem Ehrengast und rezitierte ein paar anzügliche Verse in aufreizender Pose. Am Schluss hieß es unvermeidlich: »Stéphane Hessel – indignez-moi!« Empören Sie mich! Der Gast tat aber nichts dergleichen, lächelte nur, kommentierte den Vorgang nicht weiter und wurde noch seine Botschaft los, dass es einer tiefgreifenden Gesellschaftsreform bedürfe, vor allem im Erziehungswesen. Ob er dabei auch an die Erziehung der Fernsehredakteure gedacht hat?
Ein Jahr nach dem Erscheinen der Broschüre zog
Le Monde
am 20. Oktober 2011 eine erneute Bilanz des unglaublichen Erfolgs: über zwei Millionen verkaufte Exemplare allein in Frankreich. Stéphane Hessel habe weltweiten Erfolg, er habe inzwischen einen Terminplan wie ein Staatsoberhaupt, mit Reisen in alle Welt, Spanien, Italien, Slowenien, New York, Stockholm. »Solange ich gesund bin, fühle ich mich verantwortlich für den Zustand der Welt«, sagte er dem schwedischen Fernsehen. Im Übrigen hänge die Höhe der Auflage in jedem Land davon ab, ob er persönlich auftrete – so war er noch nicht in Holland, was sich auch bemerkbar machte. Der Erfolg ist also eine Sache seiner persönlichen Ausstrahlung.
Mitte September 2011 war er in New York, stellte
Time for Outrage!
vor, plädierte für einen Palästinenserstaat und für dessen Aufnahme in die UNO, gab einigen amerikanischen Medien Interviews, in denen er die israelische Politikkritisierte. Und er befürwortete, die Wahl des ehemaligen brasilianischen Staatspräsidenten Luiz Inácio Lula da Silva zum Generalsekretär der UNO. In derselben Woche begannen in New York Proteste unter dem Slogan »Occupy Wall Street!«. Es konnte so aussehen, als hätten die Demonstranten auf Hessels Erscheinen gewartet.
In Deutschland wurde der Slogan »Occupy« erfolgreich – mangels einer Entsprechung für »s’indigner«. »Empörung« klingt offenbar zu milde, »Wutbürger« zu unsympathisch, auch wenn dieser Begriff in Deutschland 2010 zum Wort des Jahres gewählt wurde. Im
Spiegel
hatte Dirk Kurbjuweit einen Essay so überschrieben, der am 11. Oktober 2010 gedruckt wurde, also noch bevor Hessels
Indignez-vous!
in Frankreich erschienen war. Er bezog sich vor allem auf die Proteste gegen das Stuttgarter Bahnhofsprojekt, auch auf die Sarrazin-Debatte. Dort wurde der Begriff kritisch gebraucht, weil er den damaligen Protesten Zukunftsvergessenheit vorwarf. Damit allerdings lag er schon auf der Linie von Hessel, dem es ja gerade darum ging, Lust auf Zukunft und Erneuerung zu entfachen.
In Deutschland muss ein Wort, ein Name, ein Slogan auf Englisch daherkommen, um durchschlagende Wirkung zu erzielen. Da kam das Wort »occupy« gerade recht. In Frankreich, dem Land der Revolutionen und Revolten, in dem Hessel den größten Erfolg hatte, gab es übrigens keine nennenswerte Protestbewegung, die sich mit den weltweiten Occupy-Aktionen vergleichen konnte, geschweige denn mit den spanischen »indignados«, die eine ganze junge rebellierende Generation umfassen, die keine verlorene Generation sein will. In den französischen Medien kommt der Begriff »occupy« kaum vor, Reportagen über diese weltweite Bewegung werden mit »le tour du monde des indignés« betitelt. Hessels Vokabel hat sich durchgesetzt.
Die französischen Medien haben die Erfolgswelle des »indignierten Gentleman« (
La Croix,
17. 3. 2011) mitgetragen. Das linksliberale Wochenblatt
Le Nouvel Observateur
widmete dem Empörer pünktlich zur Pariser Buchmesse Mitte März 2011 ein ganzes Dossier, brachte sein Foto auf der Titelseite: »Incroyable Hessel!« Man las noch einmal die Lebensgeschichte, den Abriss seiner Laufbahn, die Liste seiner prägenden Begegnungen. Und es wurden Abschnitte aus seinem zweiten Buch gedruckt. In »
Engagezvous!
« zeige sich Hessel vor allem als Befürworter einer politischen Ökologie, hieß es da.
Es kamen aber auch dort Kritiker zu Wort, etwa der Philosoph Alain Finkielkraut, der Hessel vorwarf, er ersetze die Analyse von Problemen durch das Benennen von Schuldigen. Sein Pamphlet drücke nur den Geist eines linken Bürgertums aus, das ein gewisses Maß an
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