Sterben auf Italienisch - Ein Aurelio-Zen-Roman
einem Ernst in der Stimme, der genauso verräterisch war wie Marias Geplapper. »Das werden Sie natürlich nicht tun, aber ich bitte Sie, erzählen Sie mir wenigstens etwas. Dieser Mann ist nicht nur böse, sondern höchstwahrscheinlich auch verrückt. Er hat Caterinas Sohn wie einen Toten angezogen und ihn gezwungen, jenen Pfad hinaufzugehen, den auch Sie so oft gegangen sind, dann hat er auf eine Fernbedienung gedrückt, so als würde man im Fernsehen den Sender wechseln, und ihm den Kopf weggeblasen. Er hat persönlich Francesco Nicastro die Zungenspitze abgeschnitten. Sie haben die Schreie gehört. Der Junge kann vielleicht nie wieder sprechen oder normal essen. Ich verstehe, dass es schwer für Sie ist, mir all das zu erzählen, von dem ich weiß, dass Sie es wissen, weil ich bin, wer ich bin, und Sie sind, wer Sie sind. Aber Ihre Freundin Benedicta ist gerade gestorben, signora. Und Ihr eigener Tod, Gott bewahre, kann nicht mehr fern sein. Wollen Sie in dem Wissen sterben, dass Sie einen sadistischen Mörder geschützt haben, einen Mann, der eine Bedrohung für die Gemeinschaft darstellt, in der Sie leben, weil Sie zu stolz waren, mit dem einen Menschen zu reden, der dafür sorgen könnte, dass er keinen Schaden mehr anrichtet? Bewusster und mutwilliger Stolz ist eine Todsünde, signora . Selbst die heiligen Sakramente würden vielleicht nicht ausreichen, um Ihre Seele zu retten.«
Maria hörte sich diese Rede schweigend an. »Könnte es sein, dass Ihre Mutter es lieber gehabt hätte, wenn Sie Priester geworden wären statt Polizist?«, fragte sie schließlich.
Zen lächelte sanftmütig. »Sie ist nie darüber hinweggekommen. Aber ich fühlte mich nicht berufen.«
»Nun ja, Sie haben ganz gewiss unseren Priester hier in den Schatten gestellt. Ein bisschen zu dick aufgetragen vielleicht, aber was soll man von jemandem erwarten, der so jung ist.«
Und ich habe doch eine Berufung, dachte Zen. Ich will diesen blöden, sinnlosen und völlig diskreditierten Job so gut machen, wie ich kann.
»Ist eigentlich die Herkunft des Kindes, das auf den Namen Pietro Ottavio Calopezzati getauft wurde, je infrage gestellt worden?«, fragte er.
»Nur ein einziges Mal. Irgendein faschistischer Bürokrat aus dem Norden, der sich Dinge herausnahm, die ihm nicht zustanden, hat von la baronessa die Bestätigung verlangt, dass das Baby tatsächlich ihr uneheliches Kind ist.«
»Und was hat sie geantwortet?«
»›Ich schwöre feierlich, dass dieses Kind von keiner anderen Frau geboren wurde.‹ Was wörtlich genommen stimmte.«
»Und Giorgio?«, fragte Zen.
Maria dachte eine Zeitlang nach. Sie hatte den Kopf zur Seite geneigt wie ein Vogel, und ihr Blick war starr auf nichts Erkennbares gerichtet.
»Sicher weiß ich nur, dass er sich selbst so nennt. Alles andere sind Gerüchte. Ich habe gehört, sein Familienname wäre Fardella oder Fardeja. Und ich habe gehört, dass er ausländische Drogen an unsere jungen Leute verkauft, dass er selber süchtig geworden ist und dass er in San Giovanni in Fiore wohnt. Aber dort wird er jetzt nicht sein.«
»Wo wird er dann sein?«
Maria sah ihn an, als wäre die Frage zu naiv, um sie zu beantworten. »In den Bergen natürlich. Si è dato al brigantaggio. Das haben unsere Männer seit Jahrhunderten getan, wenn die Obrigkeit hinter ihnen her war. Sie verstecken sich im Wald, dann beobachten sie einfach und warten auf ihre Gelegenheit.«
»Sie haben doch gesagt, es wären keine Wälder mehr da.«
»Nicht mehr solche wie früher, aber es gibt Orte, die zu weit von der Eisenbahn entfernt waren, um die Bäume dort abzuholzen. Da wird Giorgio sein. Sie könnten ein ganzes Regiment dorthin schicken und diese felsige Gegend absuchen lassen, die würden ihn niemals finden!«
Der letzte Satz war eine trotzige Provokation. Zen blickte zu der Wolkenbank hinauf, die über den Himmel glitt. Das Vogelduell in der Luft hatte damit geendet, dass der Habicht von seinen Gegnern verjagt worden war, die jetzt heiser krächzend auf dem ausgebrannten Gemäuer des großen Herrenhauses saßen.
»Aber warum hat Giorgio seine Geisel getötet, sobald er herausfand, dass sie zur Familie Calopezzati gehörte?«, murmelte Zen, als ob er mit sich selbst redete.
Maria schien ganz in den Anblick ihrer Schuhe vertieft zu sein. »Ich habe zwei Geschichten gehört«, antwortete sie schließlich in neutralem Tonfall. »Einige Leute sagen, dass vor über einem Jahrhundert, noch vor dem Ersten Weltkrieg, die Calopezzatis
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