Sterben auf Italienisch - Ein Aurelio-Zen-Roman
ein Stück Land gestohlen haben, dass Giorgios Urgroßmutter gehörte. Das haben sie ständig gemacht, um die Grenzen ihres riesigen Besitzes zu begradigen. Sie rissen Land, das ihnen nicht gehörte, einfach an sich, stellten Zäune auf und ließen ihre Wachposten um das Gebiet patrouillieren. Die bestohlene Familie hätte vor Gericht auf Schadenersatz klagen können, doch das Urteil wäre jahrzehntelang verschleppt worden; die meisten Leute konnten sich die Anwaltshonorare nicht leisten, und alle wussten, dass die Calopezzatis die Richter ohnehin in der Tasche hatten. Also tat Giorgios Urgroßvater, was von einem Mann erwartet wurde. Eines Tages nahm er seine Schrotflinte und lauerte dem Baron auf. Allerdings wurde er entdeckt und von den Wachen getötet. Das Ganze wurde offiziell zu einem Jagdunfall erklärt, und es wurde nie jemand dafür bestraft.«
»Und die andere Geschichte?«
»Die ist später passiert. Hier in der Gegend arbeiteten alle für die Calopezzatis, deshalb konnte der Baron so niedrige Löhne zahlen, wie er wollte. Während der Weltwirtschaftskrise wurden die Dinge so schlimm, dass Familien, die keine Verwandten in Amerika hatten, die ihnen Geld schickten, hungern mussten. Deshalb haben sie eine Kundgebung in San Giovanni organisiert, um ausreichende Löhne zu fordern. Das war alles. Niemand wollte den Calopezzatis das Land wieder abnehmen, das sie gestohlen hatten, niemand forderte, dass der Grundbesitz aufgeteilt und den Leuten zurückgegeben werden sollte, und es gab ganz gewiss keine Gewalt. Die Leute versammelten sich auf der Piazza vor der Kirche, wie sie es jeden Sonntag nach der Messe taten, einfach um zusammen zu sein, um das Gefühl zu haben, dass sie in ihrem Elend nicht allein waren. Die Polizei war anwesend, machte aber keinerlei Anstalten einzugreifen. Niemand wusste jedoch, dass ein Kommando bewaffneter Schwarzhemden am frühen Morgen den Glockenturm bestiegen hatte. Ihr Anführer war Roberto Calopezzati, der Sohn des Barons. Auf sein Zeichen hin begannen sie mit scharfer Munition in die Menge zu schießen. Unter den Getöteten war auch Giorgios Großtante.«
Zu Aurelio Zens Stärken gehörte, dass er immer wusste, wann er besser den Mund hielt. Das tat er jetzt.
»Eine oder beide Geschichten könnten erklären, warum er das getan hat«, beendete Maria verträumt ihren Bericht. »Natürlich hat er sich hinsichtlich der Identität seines Opfers geirrt. Und im Übrigen war die verdiente Strafe bereits verhängt worden.«
Ihr merkwürdig ausdrucksloser Blick wanderte überallhin, nur nicht zu der gewaltigen Ruine auf der anderen Seite der piazzetta . Nicht ein einziges Mal schaute sie in diese Richtung.
»Strafe«, wiederholte Zen vage.
»Das Feuer!«
Es folgte ein langes Schweigen. Schließlich nickte Zen. »Natürlich. Dieser furchtbare Unfall …«
Da endlich richtete Maria ihren teilnahmslosen Blick auf ihn und den vom Feuer schwarzen Palast dahinter. »Es war kein Unfall.«
Zen nickte erneut, als würde er eine banale Tatsache zur Kenntnis nehmen, die gerade ans Licht gekommen war. »Warum haben Sie sie getötet?«
Da lachte Maria ein krächzendes, meckerndes Lachen, das von tief unten zu kommen schien. » Perché? Perché! Weil meine Mutter mir, als ich klein war, beigebracht hat, wie man ein Feuer herrichtet und anzündet. Weil es, bevor ich in Stellung gegeben wurde, jeden Morgen meine Aufgabe war, vor allen anderen im Haushalt aufzustehen, wenn es noch dunkel war, und das Feuer im Kamin anzumachen. Weil ich, um nur ja rechtzeitig aufzuwachen, vorm Schlafengehen immer drei Tassen Wasser getrunken habe, und meine Blase hat mich nie im Stich gelassen. Weil ich im Laden einen Kanister mit Benzin gestohlen und es unten im Haus und auf der Treppe verschüttet habe, um dem Feuer den Weg zu zeigen. Weil la baronessa zwar das meiste Blut weggewischt hat, aber der Geruch hing noch tagelang in der Luft, und die Flecken sind nie ganz weggegangen. Weil Caterina mir Nacht für Nacht erschien und ihr Unterleib dabei offen war wie ein Backofen. Weil ich einsam und verängstigt und trotzdem furchtlos war. Weil ich bis zum heutigen Tag nicht weiß, wo sie sie begraben haben. Wegen dem Baby. Wegen allem.«
Zen dachte eine Zeitlang darüber nach. »Sie haben gesagt, als Ottavia Calopezzati den Behörden mitteilte, dass das Kind, das sie als ihr eigenes ausgab, von keiner anderen Frau geboren worden war, da hätte sie die Wahrheit gesagt.«
»Sie hat Caterina erwürgt und mit einem
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