Sterben auf Italienisch - Ein Aurelio-Zen-Roman
verstand den Wink mit dem Zaunpfahl und schlug dem verblüfften Mantega auf den Rücken.
»Hey, es ist schon nach Mitternacht! Jetzt gehen wir alle schlafen und reden morgen beim Mittagessen weiter.«
Die drei Männer verließen das Zimmer und gingen zu den Aufzügen. Morgen wird es Zeit, mein rudimentäres Italienisch an Nicola Mantega auszuprobieren, dachte Martin. Er traute sich zwar nicht zu, die detaillierten Verhandlungen über den Kauf und die Übergabe der Menora zu führen, doch da war eine andere Sache, über die er unter vier Augen mit diesem schmierigen Notar reden musste. Es gehörte zu Martins Grundprinzipien, niemals seine persönliche Sicherheit in die Hände einer dritten Person zu legen, die nichts zu verlieren und alles zu gewinnen hatte, wenn sie die Wahrheit enthüllte - oder drohte, dies zu tun. Also musste Tom beseitigt werden. Kalabrien schien Martin der passende Ort, wo so etwas erledigt werden könnte, und Nicola Mantega der richtige Typ, der sicher jemanden kannte, der bereit wäre, gegen die übliche Bezahlung diese Aufgabe zu übernehmen.
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Ein Habicht wurde von einer Schar Krähen gejagt. Um an Höhe zu gewinnen, schlugen sie mit den Flügeln, wie ertrinkende Schwimmer mit Armen und Beinen strampeln, dann drehten sie sich und machten Sturzflüge, als wollten sie ihren Gegner rammen, krächzten wie wild, verfehlten aber stets mit Absicht ihr Ziel. Bei jedem vorgetäuschten Angriff korrigierte der Habicht den Winkel seiner ausgebreiteten Flügel und glitt weiter durch die Luft, indem er sich von dem heißen Luftstrom tragen ließ, der von den Felsen und dem Gestrüpp unter ihm aufstieg. Er hätte sich ohne weiteres gegen seine Peiniger wenden und ihnen mit seinen großen Klauen die Bäuche aufreißen können, doch das Töten im Flug war seiner Art fremd. Die Horde Krähen ihrerseits hätte ihren Konkurrenten durchaus auf ihrem Territorium ernsthaft angreifen und ihn so sehr verwirren können, dass eine von ihnen die Möglichkeit gehabt hätte, ihren spitzen Schnabel in den Körper des Eindringlings zu stoßen, doch in ihrem genetischen Code war so ein Verhalten ebenfalls nicht programmiert. Deshalb blieb das Ganze eine Auseinandersetzung, bei der keiner der Protagonisten wirklich gewinnen konnte, und sie würde so lange weitergehen, bis die eine oder andere Seite das Spiel leid war und aufgab.
Aurelio Zen hatte sich nie sehr für Vögel interessiert, doch das unmerkliche Nahen des Todes hatte ihn aufmerksamer gemacht für alle Lebensformen. Er saß auf der oberen Treppenstufe der ausgebrannten bastiglia , genau an der Stelle, wo Pietro Ottavio durch die Wucht einer Explosion enthauptet worden war, und blickte abwechselnd hinauf zu dieser pantomimischen Einlage am Himmel und hinunter auf den Teppich aus Pflanzen und Büschen, der sich im Laufe der Jahre zwischen den verkohlten Steinblöcken gebildet hatte, seit die Baronsresidenz in einer Winternacht vom Feuer vernichtet worden war.
Das verblüffendste Exemplar hier unten war ein Feigenbaum, dessen Wurzeln mit ihrer anscheinend intuitiven Fähigkeit, Wasser in der Nähe aufzuspüren, die uralte Quelle gefunden haben mussten, die einst die Familie Calopezzati samt ihrem Gefolge von Dienstboten, Büroangestellten, Verwaltern und bewaffneten Wachen versorgt hatte. Es gab außerdem einen jungen Mandelbaum, auf dessen Blättern ein Käfer herumkrabbelte, der wie ein Schmuckstück aussah. Sein leuchtend grüner Panzer war mit goldenen und schwarzen Punkten gesprenkelt. Irgendwann erhob er sich mit einem dumpfen Brummen wie ein aufziehbares Spielzeug in die Luft und wurde von einem vorbeifliegenden goldfarbenen Pirol geschnappt. Zen tröstete sich über den Verlust hinweg, indem er seine Aufmerksamkeit wieder der Rangelei in der Luft zuwandte. Er wusste, dass der Gedanke absurd war, doch man konnte sich nur schwer vorstellen, dass Habichte das Fliegen nicht um seiner selbst willen genossen.
Bei diesen Überlegungen ließ ihn das elektronische Plärren seines Handys noch erschrockener auffahren als sonst. Wie er diese Quälgeister hasste, denen alle schamlos erlegen waren! Er erinnerte sich an eine Einladung zum Abendessen in Lucca, wo die Hälfte der Gäste den ganzen Abend lautstark mit Leuten geplaudert hatte, die nicht da waren, während sie die ignorierten, die da waren. Als er sich hinterher auf dem Heimweg darüber beklagt hatte, hatte Gemma gemeint, so wäre das halt heutzutage. Er solle sich anpassen, hatte sie gesagt, doch das
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