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Sterben auf Italienisch - Ein Aurelio-Zen-Roman

Titel: Sterben auf Italienisch - Ein Aurelio-Zen-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Dibdin
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das wussten alle im Haus, einschließlich Mirella Kodra.
    Wenn sie sich nun aber irrten?
    Aurelio Zen hielt sich nicht für einen Spieler. Er kaufte keine Lotterielose und spielte noch nicht mal im Totocalcio Fußballtoto. Als er als kleines Kind mal an dem berühmten Kasino in Venedig vorbeigekommen war, hatte er seinen Vater gefragt, was da drinnen vorging, und sein Vater hatte es ihm erklärt. Aurelio war es gewohnt, dass sein Vater ihm Dinge erklärte. Die Prozedur konnte zwar manchmal ein bisschen langatmig sein, aber da dieses Frage-und-Antwort-Spiel einer der wenigen Berührungspunkte zwischen ihnen war, bedeutete es ihm viel. Wenn er beispielsweise nach irgendeinem Detail bezüglich der Eisenbahn fragte, bei der sein Vater arbeitete, gab dieser immer eine klare, detaillierte und überzeugende Antwort. Als es darum ging, was sich hinter dem imposanten Portal des casinò abspielte, war Angelo Zens Tonfall ruhig und entschieden geblieben, doch inhaltlich war seine Antwort das Gefasel eines Idioten gewesen.
    »Das ist was für reiche Leute. Die setzen eine Menge Geld ein, um auf eine bestimmte Zahl oder auf die Karten, die sie in der Hand haben, zu wetten. Dann warten sie ab, was passiert.«
    »Und was passiert dann?«, hatte Aurelio gefragt und nach der Hand seines Vaters gegriffen, während sie die stark riechende Gasse entlanggingen, die zum Bahnhof führte.
    »Entweder die richtige Zahl oder Karte kommt, oder sie kommt nicht. Wenn sie kommt, werden diese reichen Schweinehunde noch reicher.«
    »Und wenn nicht?«
    »Dann verlieren sie alles.«
    Damals hatte Zen nicht verstanden, weshalb irgendwer so ein Risiko eingehen und sich völlig von Kräften abhängig machen sollte, über die man keine Kontrolle hatte. Diese Meinung wurde bestätigt, als sein Vater kurz darauf verschwand. Er hatte alles verloren, ohne sich überhaupt bewusst gewesen zu sein, eine Wette abgeschlossen zu haben, und hatte das auch nie wieder tun wollen. Doch das Leben setzt sich gern über solche Vorsätze hinweg, und so beschloss er jetzt - spontan und ohne nachzudenken -, alles auf eine Drehung des Glücksrads zu setzen. Deshalb rief er Natale Arnone zu sich und wies ihn an, Rocco Battista aus seiner Zelle im Keller zu holen.
    Der Gefangene war ein wenig einnehmendes Wesen; er erinnerte vage an eine Kreuzung zwischen Wildschwein und Stockfisch. Es ist zweifellos wahr, dass die Errungenschaften der Kunst die Defekte der Natur nicht ausgleichen können, doch die diversen Verstümmelungen, die Rocco seinem Gesicht zugefügt hatte, lieferten den schlüssigen Beweis, dass eine Verschlimmbesserung immer möglich ist. Er kam schlurfend ins Zimmer und wollte sich gerade auf den Stuhl vor Zens Schreibtisch setzen, als Arnone Natale ihn rasch wegzog.
    »Steh gerade vor dem Polizeichef, du Penner!« Battista raffte sich mühsam wieder auf und stand dann stumpfsinnig um sich blickend da, aber vermutlich nicht stumpfsinniger als sonst auch. Zen war bereits informiert worden, dass der Gefangene seit seiner trotzigen Absichtserklärung ganz zu Anfang weder durch Worte noch durch Gesten auf eine der Fragen oder Kommentare der Vernehmungsbeamten reagiert hatte. Ihm war außerdem sehr bewusst, dass der Erfolg seines Plans nicht darauf beruhte, dass er überhaupt eine Reaktion hervorrief, sondern genau die, die er brauchte. Also ließ er Battista erst mal dort stehen, mit hängendem Kopf und den Blick auf den Boden gerichtet, womit er auf äußerst erbärmliche Weise ausdrücken wollte, die Polizei könne ihm ruhig die Knochen brechen, aber seinen Willen würde sie nie brechen.
    Zen lehnte sich lässig zurück und starrte unverwandt auf den Mann, mit dem er sich auseinandersetzen musste, nahm ihn in Augenschein, taxierte ihn und versuchte ihn einzuschätzen. Nachdem sich ein unerträgliches und scheinbar endloses Schweigen ausgebreitet hatte, beugte er sich vor wie ein Arzt, der seine Diagnose abgeschlossen hat, und sprach.
    »Meiner Meinung nach, Rocco, liegt die Wurzel des Problems darin, dass du dumm bist. Das ist nicht deine Schuld. Männer haben ebenso wenig Einfluss auf das Maß an Intelligenz, mit dem sie geboren werden, wie auf die Größe ihres membro virile .«
    Ein zufriedenes Grinsen erschien auf Rocco Battistas Lippen.
    »Sie können jedoch bestimmen, was sie mit der Ausstattung tun, die ihnen die Natur mitgegeben hat«, fuhr Zen fort. »Du wurdest gestern gesehen, wie du mit Nicola Mantega gesprochen hast. Als ich ihn heute am frühen Morgen

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