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Sterben auf Italienisch - Ein Aurelio-Zen-Roman

Titel: Sterben auf Italienisch - Ein Aurelio-Zen-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Dibdin
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über eine bewaldete Gebirgskette, die parallel zur Küste verlief, dann auf den Ozean hinaus oder wie zum Teufel man das hier nannte. Wen interessierte schon, wie die das nannten? War doch alles ein großer Pazifik. In dem Moment fiel Jake ein, dass der Pilot vielleicht mit ihm über eine geeignete Stelle für die nächste Operation quatschen wollte, also stellte er sein Headset wieder an. Und wie eine totale Bestätigung von allem, woran Jake glaubte - nein, was er wusste! -, meldete sich der Pilot einen Moment später und fragte: »Ist gut?« Und das war es. Der Hubschrauber drehte um, ging tiefer und begann langsam, in die Richtung zurückzufliegen, aus der sie gekommen waren. Jake stieß die Gepäcktür auf und ließ sie einrasten. Hundert Fuß unter ihnen lag das Wasser gekräuselt da wie eine Bahn Seide, die dem Käufer zur Begutachtung vom Ballen abgerollt wird.
    »Los geht’s!«, rief er Martin zu.
    Sie brauchten etwa fünf Minuten, um die Kiste in die richtige Position zu bringen und ein Stück durch die Tür zu schieben. Schon lange vorher hatte Martin wieder zu labern angefangen, also hatte Jake ihn ausgeschaltet und begonnen, einfach nur Zeichen zu geben und zu schieben. Nach einigem weiteren Kippen und Schieben gelang es ihnen, den Schwerpunkt der Kiste über die Schwelle der Ladekante zu bewegen, und dann ging alles wie von selbst. Das hintere Ende der schweren Kiste schoss heftig in die Luft und traf Martin am Kopf, dann überschlug sich das ganze Ding und fiel hinab - platsch! Jake beobachtete, wie es versank, entriegelte die Tür, knallte sie zu und sagte dem Piloten, er solle nach Hause fliegen. Er riss sich die Sicherheitsgurte vom Leib und tanzte im Laderaum herum, rutschte auf den Metallrollen aus und fiel heftig hin, dann hob er die Hand und schnippte mit den Fingern Richtung Hubschrauberdecke.
    »Endzeit, du kannst mich mal!«
    Man konnte das God Game nicht gewinnen, aber er hatte soeben das unvermeidliche Ende um ein bis zwei Jahrhunderte hinausgeschoben. Das Leben war schön, und Jake hatte vor, es zu genießen und Madrona und vielleicht sogar ihre gottverdammten Kinder, aber das Spiel hatte echt Spaß gemacht. Erst als sie wieder über der Küste flogen, fiel ihm auf, dass Martin Nguyen immer noch so auf dem Boden lag, wie er hingefallen war. Sein Kopf war in einem Winkel verdreht, von dem man einfach wusste, dass er unmöglich war, außer vielleicht bei Eulen. Als Jake allmählich klar wurde, was passiert sein musste, entluden sich all seine Gefühle für diesen Mann, den er irgendwie eine Zeitlang gekannt hatte und der ihn ganz bestimmt beim Kaufpreis für die Menora übers Ohr gehauen hatte, in einem leidenschaftlichen Ausbruch von nackter, ursprünglicher Wasauchimmer.
    »Mann!«, heulte er.

58
    Tom lag im Bett und starrte auf das komplizierte Muster von Rissen an der Decke. Sie erinnerten an ein Flussdelta vom Weltall aus gesehen, an ein Satellitenfoto von einer Gegend, in der er nie gewesen war, irgendein abgelegener Ort, wo die Menschen ihre traditionellen Bräuche und ihre traditionelle Küche aufrechterhielten, ein verloren gegangenes Herzland, wo das Leben noch so war, wie es sein sollte.
    Das Zimmer, in dem er sich befand, war etwas größer als Rocco Battistas Zelle, aber nicht viel freundlicher oder besser eingerichtet. Es enthielt ein schmales Bett, eine Kommode und einige leere Regalbretter. Das Fenster war abgeschlossen, die Fensterläden zugezogen, und die klimatisierte Luft war kühl und roch irgendwie synthetisch. Vor der Tür, die ebenfalls abgeschlossen war, stand ein bewaffneter Polizist, der Schwestern und Ärzte bei Bedarf hereinließ, Tom sein Essen brachte, ihn zur Toilette begleitete und hinterher wieder einschloss. Er reagierte auf das Italienisch des Patienten, als ob es Japanisch wäre, schüttelte gelegentlich den Kopf oder zuckte mit den Schultern, gab aber kein einziges Wort von sich.
    In einem Krankenhaus spielt die exakte Uhrzeit keine wichtige Rolle, und erst als ein Arzt kam, die Wunde untersuchte, seinen Puls und Blutdruck kontrollierte, ihm ein Röhrchen Schmerztabletten gab und ihn für fit genug erklärte, nach Hause zu gehen, stellte Tom fest, dass es vier Uhr nachmittags war. Man gab ihm seine Kleidung zurück, und der schweigsame Polizist begleitete ihn zu einem Wagen, der auf einem ruhigen Hof innerhalb des Krankenhauskomplexes parkte. Sie fuhren Richtung Norden zu einem Wohnblock zwischen der Piazza Loreto und der Piazza Europa in einem der

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