Sterben auf Italienisch - Ein Aurelio-Zen-Roman
unvereinbarer Gegensätze und aus Umweltgründen zu ihrer Mutter nach Idaho abgesetzt hatte, hatte er festgestellt, dass ihre rosigen Finger vorher seine Bankkarte benutzt hatten, deren PIN-Nummer Tom ihr mal gegeben hatte, als er zu betrunken war, um zum Automaten zu gehen, und sein Konto leer geräumt hatten. Er hatte den Kreditrahmen seiner Visa-Karte ausreizen müssen, um hierherzukommen, doch das würde nicht ewig reichen, und er konnte nicht wissen, wie lange er würde bleiben müssen. Er sah Nguyen mit dem hoffentlich überzeugenden Ausdruck eines pflichtbewussten und besorgten Sohnes in einer schwierigen Situation an.
»Mann, ich weiß gar nicht, was ich sagen soll! Klar könnte ich das Geld gebrauchen, aber es könnte einen schlechten Eindruck machen, verstehen Sie? Ich meine, als würde ich vom Unglück meines Vaters profitieren.«
»Wer soll das erfahren? Ich bezahl dich in bar, entweder hier oder drüben in den Staaten, was dir lieber ist. Und wenn es jemand rauskriegt, na und? Du hast halt einem Freund der Familie aus der Patsche geholfen.«
Tom seufzte tief. »Ist wohl okay, nehm ich an. Und vielleicht lenkt mich das ein bisschen von diesem Albtraum ab.«
»Aber für so viel Geld erwarte ich, dass du rund um die Uhr zur Verfügung stehst, okay? Ich kann nicht im Voraus sagen, wann irgendwas passiert, bei dem ich dich brauche. Im Übrigen solltest du morgen in das Hotel umziehen, in dem ich wohne. Ich zahl dir das Zimmer und die Mahlzeiten.«
Er warf einen Blick auf die Rechnung und legte etwas Geld auf den Tisch.
»Okay, ich mach mich dann auf den Weg. Bleib nicht mehr zu lange und glotz die Zuchtstuten an. Wir müssen morgen früh anfangen. Ich hol dich zwischen halb und Viertel vor fünf ab.«
Zum ersten Mal hatte Tom echte Bedenken wegen Nguyens Jobangebot. »Oje, da ist es ja fast noch dunkel!«
»Wir fahren zu einer Firma, wo die Schicht um sechs Uhr beginnt, und ich muss dem Personal einige Anweisungen erteilen. Manche sprechen Englisch, manche nicht.« Er hielt inne und starrte Tom an. »Wie viel hat dir dein Vater darüber erzählt, was wir hier machen?«
»Praktisch gar nichts. Er hat nie über seine Arbeit geredet.« Oder über sonst was, dachte er. Mein Vater hat nie mit mir geredet. Und mein Vater hat nie Italienisch mit mir gesprochen.
»Okay, ich erklär dir alles morgen«, sagte Nguyen. »Sieh zu, dass du gut ausgeschlafen bist. Ich möchte, dass du bereit und voller Tatendrang bist, wenn ich vor deinem Hotel anhalte.«
»Verflixt, darüber sollten eigentlich Sie sich Gedanken machen, Mr Nguyen! Wo Sie doch gerade erst aus den Staaten gekommen sind und so. Der Jetlag kann einen echt fertigmachen.«
Aus einer der geheimen Schubladen, die in dem Lackschränkchen seines Schädels geschickt verborgen waren, zauberte Martin Nguyen ein sattes Lächeln von tödlicher Schönheit hervor.
»Ich hab das Schlafen aufgegeben. Mein Arzt hat gesagt, es wär schlecht für mich.«
20
Nicola Mantega war kein besonders dummer oder leichtsinniger Mensch. Seine verhängnisvolle Schwäche war, dass er ein Gewohnheitstier war.
Über die groß angelegte Polizeirazzia, die am Nachmittag und frühen Abend in Altomonte Nuova stattgefunden hatte, war in den Lokalnachrichten ausführlich berichtet worden, ohne allerdings einen Grund für die Aktion zu nennen. In Interviews sprachen einige der Bewohner von wiederholten Flügen von Polizeihubschraubern während des Tages zu dem verlassenen Ort, der hoch oben über seinem Nachfolger thronte, behaupteten aber, sie hätten keine Ahnung, was das sollte. Die Polizei selbst schwieg, und das ganze Gebiet war weiträumig abgesperrt worden.
Rein oberflächlich betrachtet ging das alles Mantega persönlich gar nichts an. So hätte jedenfalls jemand aus dem Norden argumentiert, doch Nicola wusste es besser. Die Menschen im Süden waren so lange wie eine Art von Insekten behandelt worden, wie er gerne behauptete, dass sie einige Fähigkeiten von Insekten entwickelt hatten. Obwohl diese beinahe machtlos gegen die brutale Spezies waren, die die Welt beherrschte - abgesehen von gelegentlichen sehr unangenehmen oder gar tödlichen Stichen -, reagierten sie hypersensibel auf die kleinsten Veränderungen in ihrer unmittelbaren Umgebung. Und jetzt zuckten auch Mantegas Fühler unkontrollierbar. Er hatte zwar keine Ahnung, warum, doch er wusste, dass er nähere Informationen über diesen Zwischenfall brauchte, und zwar dringend.
Mantega hatte den Abend hinter
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