Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Sterben auf Italienisch - Ein Aurelio-Zen-Roman

Titel: Sterben auf Italienisch - Ein Aurelio-Zen-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Dibdin
Vom Netzwerk:
Schicksal, das seinen Vater ereilt hatte, ausgerechnet jetzt, wo ihm jede Faser seines Herzens sagte, dass es in dieser Stadt etwas ungeheuer Wichtiges für ihn gab, eine Chance, die er nicht versäumen durfte.
    Martin Nguyen erschien auf die Minute pünktlich und kam sofort zur Sache.
    »Wie lange hast du vor zu bleiben?«, fragte er Tom.
    »So lange, wie es sein muss. Vielleicht auch länger. Irgendwie gefällt’s mir hier.«
    »Und was ist mit deinem Job?«
    »Den hab ich gekündigt, bevor ich hierhergekommen bin. Hatte ich eh vor.«
    »Was hast du denn gemacht?«
    »Ich war stellvertretender Küchenchef in einem gehobenen Restaurant in Manhattan. Doch der Besitzer hat gewechselt, und der neue Manager war echt scheiße. Außerdem hatte meine Freundin mich gerade verlassen, und als sich diese Gelegenheit ergab, hab ich das zum Anlass genommen, meinem Boss zu erklären, er könne sich den Job sonst wohin schieben.«
    »Als sich diese Gelegenheit ergab« klang gefühllos. Er musste demnächst vorsichtiger sein.
    »Freut mich zu hören, dass dieses Unglück auch etwas Positives hat«, murmelte Nguyen. »Aber wie kommst du finanziell zurecht? Europa ist zurzeit der absolute Nepp.«
    »Ich hab ein bisschen was gespart. Wenn das alle ist, geh ich zurück und fang von vorn an. In der Gastronomie gibt es immer freie Stellen. Schade, dass ich nicht hier arbeiten kann, aber dazu braucht man einen EU-Pass.«
    Ein Passant ungefähr in Toms Größe mit einem dieser markanten italienischen Gesichter, die genauso stark vom Charakter geprägt sind wie von der Physiognomie, kam zu ihrem Tisch herüber.
    »Wie ich sehe, genießen Sie immer noch das Leben in Cosenza«, sagte er.
    Inzwischen hatte Tom in dem Eindringling den örtlichen Polizeichef erkannt.
    »Oh ja, sehr!«, erwiderte er. »Und Sie?«
    Sofort war ihm klar, dass das Bier ihm die Zunge gelöst hatte, doch der Mann schien diese Dreistigkeit gelassen zu nehmen.
    »Ich fühle mich niemals in einer Stadt zu Hause, in der man das Meer nicht riechen kann«, erwiderte er. »Ich muss Sie morgen Vormittag in der Questura sprechen. Wann können Sie frühestens dort sein?«
    Nachdem sie sich rasch auf die Zeit geeinigt hatten, stellte Tom Martin Nguyen vor, der den Wortwechsel mit einigem Interesse verfolgt hatte.
    »Sagen Sie dem signore , dass ich ihn ebenfalls sprechen möchte«, sagte der Mann, bevor er sie mit einem knappen Nicken verließ.
    »Wer war der Typ?«, fragte Martin Nguyen.
    »Der Polizeichef. Er will, dass wir beide morgen früh zu ihm kommen.«
    »Weshalb?«
    »Das weiß ich nicht. Vielleicht um über die jüngsten Entwicklungen im Entführungsfall meines Vaters zu reden.«
    »Ist etwas passiert?«
    »Weiß ich nicht.«
    »Warum hast du ihn denn nicht gefragt?«
    Tom beugte sich mit einem leicht herablassenden Gesichtsausdruck vor. »Mr Nguyen, wir sind hier nicht in den Staaten. Die Polizei hier ist eher wie die Leute vom Heimatschutz als wie der freundliche Sheriff von nebenan, der im Herbst wiedergewählt werden will und deine Stimme braucht. Wenn die einem was erzählen wollen, tun sie’s. Wenn nicht, hat es keinen Sinn zu fragen.«
    Nguyen befriedigte das nicht. »Aber was hab ich denn mit der Sache zu tun?«
    »Ich hab ihm gesagt, Sie wären ein Geschäftspartner meines Vaters. Ich nehme an, er glaubt, Sie hätten vielleicht wichtige Informationen darüber, was er hier gemacht hat.«
    Martin Nguyen nickte vage. »Du sprichst also ziemlich gut Italienisch?«
    Tom zuckte mit den Schultern. »Meine Mutter hat früher mit mir Italienisch gesprochen, und es scheint alles wiederzukommen. Es ist keine sehr schwierige Sprache, wenn man erst mal die Grundregeln kennt. Eigentlich brauchte ich nur mehr Vokabeln, und die schnappe ich hier ganz schnell auf.«
    Nguyen dachte eine Weile schweigend darüber nach. »Dann kann ich dir auf der Stelle einen Job anbieten«, sagte er schließlich. »Ist zwar nur vorübergehend, so lange, wie ich hierbleiben muss, aber ich zahle fünfhundert Dollar pro Tag bar auf die Hand.«
    »Was soll ich dafür tun?«
    »Für mich übersetzen und mir allgemein behilflich sein.«
    »Tja, ich weiß nicht«, sagte Tom zweifelnd. »Im Augenblick kann ich eigentlich an nichts anderes denken als an meinen Vater, verstehen Sie?«
    »Okay, wie wär’s mit fünfhundert Euro? Das sind beim aktuellen Wechselkurs über sechshundert Dollar.«
    Tom dachte über diesen Vorschlag mindestens zwei Sekunden lang nach. Nachdem sich Dawn wegen angeblich

Weitere Kostenlose Bücher