Sterben auf Italienisch - Ein Aurelio-Zen-Roman
selbst durch das Schlimmste, das die Menschheit anrichten kann, nicht mehr gefährdet als sein metaphorisches Äquivalent durch die Launen und Schliche derjenigen Spezies, die gerade die Spitzenposition in der politischen Nahrungskette einnimmt. Unveränderbar, unzugänglich und letztlich wohl bis in alle Ewigkeit dreht sich der riesige Wasserkopf der italienischen Bürokratie mit absolut vorhersagbarem Impuls immer weiter blind um sich selbst, egal was draußen für ein Klima herrscht.
Im Privatleben hatte Zen oft Grund gehabt, diese Tatsache zu beklagen, wenn er wieder mal den Tränen nahe war oder einem Wutausbruch oder beidem wegen der ungeheuren Menge an Zeit und Mühe, die erforderlich war, um - jeweils persönlich beim anagrafe -Amt der Stadtverwaltung und nach extrem langer Wartezeit, wenn man keine Beziehungen spielen lassen konnte - die jüngste Ergänzung zu dem Wust an Dokumenten zu erhalten, der jeden Italiener von der Geburt bis zum Tod begleitet. In seinem Beruf war das jedoch von unschätzbarem Wert. Mochte dieser oder jener Politiker gerade im Amt sein oder auch nicht, irgendeine Partei sich gerade neu bilden oder auflösen, die ständige Regierungsbaustelle mit Olivenbäumen bepflanzt oder mit Häusern der Freiheiten bebaut sein, die Anzahl der alltäglichen Ereignisse, für die ein offizielles Dokument erforderlich war, blieb groß und mannigfaltig genug, um die Grundlage für einen detaillierten biografischen Überblick über jeden Staatsbürger zu liefern.
Das war unter dem faschistischen Regime noch stärker der Fall gewesen, und da Kalabrien die Bombardierungen, die die Archive in anderen Teilen Italiens zerstört hatten, weitgehend erspart geblieben waren und die Nachkriegsregierung die offiziell geächteten Schergen Mussolinis prompt wieder eingestellt hatte, um die noch existierenden Archive zu betreuen, erwies es sich als viel weniger schwierig, die Geschichte der Familie Intrieri zu entwirren, als es das vielleicht anderswo gewesen wäre. Caterina war im Februar 1926 in San Giovanni in Fiore als drittes von neun Kindern geboren worden, und ihr natürlicher Tod wurde von der Behörde in Spezzano della Sila am 6. Dezember 1944 bescheinigt, acht Tage nach der Geburt von Pietro Ottavio Calopezzati in derselben commune . In den sechziger Jahren hatten sich die Reihen der Familie Intrieri in Kalabrien gelichtet, sowohl durch Tod als auch durch Abwanderung zu den Arbeitsplätzen, die durch den Bauboom im Norden entstanden. Nur drei Familienangehörige waren immer noch als wohnhaft in der Provinz Cosenza gemeldet; zwei davon waren Frauen mittleren Alters, die dritte, eine Cousine Caterinas, war mittlerweile fast neunzig Jahre alt.
Diese Spur war also tot. Zen hatte nie viel Hoffnung in sie gesetzt. Er wusste, dass Maria ihm die Wahrheit gesagt, ihn aber auch belogen hatte. Was er nicht wusste, war, wo das eine in das andere überging, deshalb hatte man die Intrieri-Geschichte weiterverfolgen müssen. Das Mädchen war tatsächlich »eines natürlichen Todes« gestorben, wie Maria gesagt hatte, aber es gab keinen einzigen objektiven Nachweis dafür, dass das Baby, das zur gleichen Zeit auf die Welt gekommen war, ihres gewesen war. Caterina war die ältere und wahrscheinlich dominantere der beiden Freundinnen gewesen und könnte sich durchaus eine dramatische Geschichte ausgedacht haben, um ihr kümmerliches Leben in dem kalten, leblosen Herrenhaus ein wenig spannender zu machen. Außerdem, weshalb sollten die Intrieris einen der ihren ermorden? Es sei denn natürlich, sie hätten es nicht gewusst. Zen kam sich vor, als hätte er sich in dem Sumpfgebiet verirrt, das die Grenze zwischen der laguna morta und der laguna viva in seiner Heimatstadt Venedig verpestete, eine trügerische Suppe, wo man weder stehen noch segeln konnte, sondern im Schlamm einsank und nach unten gezogen wurde.
Davor wurde er zumindest vorübergehend durch das Erscheinen des stets eifrigen und zuversichtlichen Natale Arnone gerettet.
»Bloß die neuesten Nachrichten über Signor Mantega«, sagte er, als er die auf Zens Schreibtisch ausgebreiteten Dokumente sah. »Es ist nicht dringend. Ich komme später wieder.«
»Nein, berichten Sie«, erwiderte Zen gähnend. »Ich mag keine Wörter mehr entziffern, die mit Stahlfedern geschrieben wurden, die man in zu dicke Tinte getaucht und dann schlecht abgelöscht hat. Benimmt sich unser Freund, der notaio ?«
Nicola Mantega war an diesem Morgen um zehn Uhr unter sehr strengen
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