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Sterben auf Italienisch - Ein Aurelio-Zen-Roman

Titel: Sterben auf Italienisch - Ein Aurelio-Zen-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Dibdin
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autostrada vorbeiführte, standen hier hauptsächlich Häuser mit Eigentumswohnungen, deren Besitzer zur Arbeit pendelten und abends zu Hause aßen. Außerdem gab es einige Bars und Fast-Food-Lokale für die Studenten der in den siebziger Jahren gegründeten Universität, deren flache Gebäude sich wie die Chinesische Mauer über die Hügelkette nach Westen erstreckten. Als Tom hereinkam, waren dort etwa ein Dutzend Studenten, die eher herumsaßen als etwas aßen. Lautstark versuchten sie, das Sperrfeuer der durch die italienischen Vokale leicht abgemilderten Rapmusik zu übertönen. Die Ausstattung erinnerte an eine bessere öffentliche Toilette, ringsum bleiches Halogenlicht, fast überall Spiegel außer auf dem Fußboden sowie klobige Plastiktische und -stühle in leuchtenden Farben, wie ein Spielset für Riesenbabys. Das war schon okay. Tom hatte bereits festgestellt, dass es nur wenig gab, das an die Höhenflüge des italienischen Geschmacks herankam, und nichts, was an seine Abgründe heranreichte.
    Er bestellte ein Bier und begann sich zu fragen, was Mirella wohl anhaben würde. Die beiden Outfits, in denen er sie bisher gesehen hatte, waren so unterschiedlich gewesen, dass sie eigentlich keinerlei Anhaltspunkte lieferten. Je länger er darüber nachdachte, umso mehr wurde Tom klar, dass bei den beiden Malen fast alles anders gewesen war: die Frisur, das Make-up, das sie trug, sogar ihre Körpersprache. Es war beinahe so, als hätte er zu diesen beiden Gelegenheiten nicht dieselbe Person gesehen, sondern ein Paar eineiige Zwillinge, die sich körperlich ähnlich waren, aber eine vollkommen andere Persönlichkeit hatten. Bei diesem absurden Gedanken lächelte er vor sich hin. Nun ja, eineiige Zwillinge mochten ja gerade noch denkbar sein, aber eineiige Drillinge, das würde wirklich zu weit gehen, also müsste er bald eine Vorstellung davon bekommen, wer sie wirklich war - oder eher, für wen sie von ihm gehalten werden wollte. Tom fand diese letzte Überlegung ziemlich beunruhigend. Eine solche Idee wäre mir zu Hause nie gekommen, dachte er. Dieser Ort verwirrt mich. Er war sich nicht sicher, ob ihm das wirklich gefiel.
    Die Antwort auf seine Frage, wie sie heute wohl aussehen mochte, gab ihm ein neues Rätsel auf. Ihre äußere Erscheinung unterschied sich so sehr von den beiden ersten Malen, dass Tom sie überhaupt nicht erkannte, bis sie sich an seinen Tisch setzte. Unter einer unförmigen blauen Steppjacke trug sie ein spießiges Kostüm in einem nicht zur Jacke passenden Schlammton. Kein Make-up, kein Schmuck, die Haare streng zurückgekämmt und zu einem festen Knoten gedreht. Insgesamt sah sie aus wie eine Zahnarzthelferin vom Dorf, die sich für ein Vorstellungsgespräch in der großen Stadt fein gemacht hat. Das wird wohl heute nichts mit Sex, dachte Tom, obwohl das unter den gegebenen Umständen ohnehin nicht möglich gewesen wäre.
    »Du scheinst überrascht, mich zu sehen«, sagte Mirella.
    Da ihm darauf keine Antwort einfiel, lächelte Tom nur.
    »Nun denn«, fuhr sie fort, »du hast mir am Telefon deinen Namen gesagt, aber ich hab ihn nicht verstanden.«
    »Ich heiße Tom. Thomas. Tommaso.«
    »Tommaso.«
    Es gefiel ihm, wie sie auf dem doppelten Konsonanten verweilte, ihn mit den Lippen liebkoste, als wollte sie ihn nicht gehen lassen.
    »Un bel nome.«
    Ein mürrischer Kellner erschien an ihrem Tisch. Mirella bestellte irgendeine Pizza. Tom sagte, er nehme das Gleiche.
    »Du wohnst also hier in der Nähe?«
    Tom nickte. »Gleich um die Ecke. Rende International Residence.«
    »Oh, dann musst du aber reich sein! Ich bin erst einmal da drin gewesen, als eine Freundin von mir geheiratet hat. Sie haben dort den Hochzeitsempfang gemacht. Ist das nicht sehr teuer?«
    »Nun ja, ich bezahle das nicht. Ein Freund meines Vaters, der für eine amerikanische Filmgesellschaft arbeitet, hat mich engagiert. Die wollen hier einen Film drehen, aber er spricht kein Italienisch, also braucht er mich als Dolmetscher. Ist eigentlich nicht mein Metier, aber wie sagt man so schön … ein neuer Tag, ein neuer dolore . Ich meine dollaro .«
    »Filme! Oddio, che bello! Ich wollte schon immer beim Film arbeiten.«
    »Das Aussehen dafür hast du ganz bestimmt!« Was für ein lahmer, erbärmlicher und dämlicher Spruch, dachte er, doch sie schien sich über das Kompliment zu freuen.
    »Es ist alles nicht so glamourös, wie es sich anhört«, fuhr Tom rasch fort mit dem, wie er hoffte, genau richtigen Touch von

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