Sterben für Anfänger: Wie wir den Umgang mit dem Tod neu lernen können (German Edition)
so lange ans Bett setzen wie wir«, sagt Barbara Schoppmann, die Leiterin des ambulanten Malteser Hospizdienstes in Bingen. Ihre ehrenamtlichen Mitarbeiter ersetzen den Pflegedienst nicht, aber auch sie können mit schwierigen Situationen umgehen und wissen, was im Notfall zu tun ist. Im Wesentlichen aber schenken sie Zeit und Zuwendung. Sie sind Helfer, die Normalität in einen von Krankheit dominierten Alltag bringen. Oft sind das scheinbare Kleinigkeiten, die dennoch viel bewirken. So habe eine Mitarbeiterin neulich stundenlang mit einem Patienten Karten gespielt, die beiden hätten gelacht und herumgefrotzelt. Ganz gelöst und fröhlich sei der Mann gewesen und habe am Ende überrascht festgestellt: »Komisch, ich habe meine Krankheit ganz vergessen.«
Für die Kranken ist die Gegenwart der Hospizmitarbeiter die Rückversicherung, dass sie nicht alleine sind. Den Angehörigen gibt ihre Anwesenheit immerhin stundenweise den Freiraum, den sie zwischendurch für sich brauchen. Oft werden die Sterbebegleiter auch von Alten- und Pflegeheimen angefragt. Immer wieder stellen sie dort fest, dass Sterbende viel ruhiger sind, wenn jemand am Bett sitzt. Das kann in solchen Einrichtungen aber in der Regel nicht geleistet werden. »Wenn einer zwei Stationen in der Nachtschicht zu versorgen hat, ist eine solche Fürsorge unmöglich«, weiß Barbara Schoppmann.
Welcher Hospizbegleiter einen Menschen in den Stunden, Tagen, manchmal auch Wochen oder Monaten vor seinem Tod begleitet, wird nicht dem Zufall überlassen. Bei einem Erstbesuch wird ausgelotet, welcher ehrenamtliche Helfer zu dem passt, der seine Hilfe braucht. »Wir haben da inzwischen ein ganz gutes Gespür«, sagt die Hospizleiterin, »und wenn die ›Chemie‹ nicht stimmt, dann suchen wir so lange, bis es passt.« Wichtig sei dabei, die Wünsche des Sterbenden zu erspüren und zu respektieren. Tatsächlich reagiert jeder anders auf ein solches Hilfsangebot. Der eine ist gleich sehr herzlich und aufgeschlossen, der nächste eher reserviert. Der eine will sich unterhalten oder möchte, dass ihm aus der Zeitung vorgelesen wird. Der andere will seine Ruhe, will gar nicht reden, aber auch nicht alleine sein. Der eine wird unter dem Einfluss von Schmerzen, Verzweiflung oder auch der Wirkung bestimmter Medikamente aggressiv, andere ziehen sich ganz in sich zurück und werden depressiv. »Manchmal braucht jemand einfach nur eine Berührung«, erklärt Barbara Schoppmann. »Wichtig ist, dass man sich immer so verhält, als würde der Betreffende alles mitbekommen. Das sagen wir auch Angehörigen immer wieder. In der Gegenwart eines Sterbenden, auch wenn er nicht mehr ansprechbar ist, muss man sich jederzeit so verhalten, als sei er wach.« Denn von Patienten, die das Bewusstsein – etwa nach einem Koma – wiedererlangt haben, weiß man, dass sie Gespräche und Berührungen sehr wohl mitbekommen, Stimmen und Schritte oft erkannt haben.
Wenn eine Versorgung zu Hause und mit Hilfe ambulanter Dienste trotz allem nicht mehr möglich sein sollte, weil die Linderung der Leiden intensiverer Behandlung bedarf, dann gibt es auch stationäre Hospizeinrichtungen, die mittlerweile auch von den Kranken- und Pflegekassen bezahlt werden. Aber nicht immer sind im Bedarfsfall Betten sofort verfügbar.
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Hospizarbeit und palliative Versorgung sind sehr unterschiedlich strukturiert, verfolgen aber – mit unterschiedlichen Mitteln – im Prinzip die gleichen Ziele. Dabei geht es weder darum, das Leben eines Sterbenden zu verlängern, noch, es zu verkürzen. Das Leben, das noch bleibt, soll aber unter allen Umständen und bis zuletzt ein würdevolles sein. Die Hospizbewegung entstand vor Jahrzehnten aus der Mitte der Gesellschaft heraus. Sie hat das Sterben aus der Tabuzone herausgeholt und die Begleitung Sterbender sowie die Bedeutung der letzten Lebensphase wieder ins Bewusstsein gerückt. Das war damals, in den späten sechziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts in England und in den achtziger Jahren in Deutschland, ein neuer, fast revolutionärer Umgang mit Sterben und Tod, der auch wichtige medizinische Entwicklungen angestoßen hat, die Palliativmedizin etwa.
Auch im Medizinbetrieb spielt die Mangelware Zeit eine zentrale Rolle. Sie wird zum kostbaren Gut, das fast unbezahlbar, weil schwer abzurechnen ist. »In vielen Krankenhäusern«, sagt Christine Schiessl, »ist es kein Problem, Herzen zu transplantieren oder die Schädeldecke zu öffnen. Aber Zeit, am Bett eines Patienten,
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