Sterben für Anfänger: Wie wir den Umgang mit dem Tod neu lernen können (German Edition)
Bundesärztekammer verboten, strafrechtlich allerdings hat er keine Folgen. Anders ist das mit der aktiven Sterbehilfe. Wenn der Arzt ein tödliches Medikament direkt verabreicht, erfüllt das in Deutschland (Stand Februar 2013) einen Straftatbestand.
Christine Schiessl wundert sich allerdings, dass die Diskussion über die gesetzliche Regelung solcher Ausnahmefälle immer wieder so breiten Raum einnimmt, wo doch viel mehr Menschen heutzutage unter unwürdigen Bedingungen sterben müssen, obwohl ihnen mit den zur Verfügung stehenden Mitteln der Palliativmedizin geholfen werden könnte. »Sollten wir uns nicht erst einmal darum kümmern?«, fragt die Ärztin und stellt dann fest: »Ich glaube nicht, dass wir Fragen der aktiven Sterbehilfe über die bestehenden Gesetze hinaus regeln müssen. Denn Gesetze werden nicht für einzelne, sondern für die gesamte Gesellschaft gemacht. Und ich möchte, ehrlich gesagt, nicht in einer Gesellschaft leben, in der Leben eine Alternative ist. Wo ich als schwerstkranker und vielleicht alter Mensch begründen muss, warum ich leben will, weil es die Alternative gibt: Bringt mich um. Und wenn es diese Alternative nicht gibt, braucht Leben keine Begründung, und das finde ich gut so.«
Einsamkeit und Trost
Einsamkeit ist ein Zwilling des Todes.
Rafik Schami
Schmerzen, Angst vor Ersticken, unerträgliche Übelkeit – das können, müssen aber nicht, die physischen Qualen am Ende eines Lebens sein, und hier gibt es – wie wir gehört haben – gute Möglichkeiten der medizinischen Hilfe. Aber oft ist es auch seelisches Leiden, das einen Sterbenden quält, zu dem Ärzte und Helfer manchmal jedoch nur schwer Zugang finden. Leo Tolstoi beschreibt dieses Leiden in der Geschichte vom Tod des Iwan Iljitsch: »Der Doktor sprach von körperlichen Schmerzen und hatte recht. Aber noch furchtbarer als die körperlichen Schmerzen waren die seelischen, diese bedrückende, furchtbare Einsamkeit, die nirgendwo vollkommener sein konnte, weder auf dem Meere noch auf der Erde« 19 , die Einsamkeit im Sterben.
Früher starben Menschen, wenn sie nicht in Kriegen oder durch Unfälle ums Leben kamen, in der Regel im eigenen Bett, umringt von Familie und Freunden. Und so stellt sich auch heute noch die große Mehrzahl der Menschen ihren Tod vor: Mehr als 90 Prozent wünschen sich, zu Hause zu sterben. Das ist den meisten heute aber nicht mehr vergönnt. Nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin starben im Jahr 2012 nahezu 50 Prozent der Menschen in Krankenhäusern, schätzungsweise 20 Prozent in Pflegeheimen, zwischen 2 und 3 Prozent auf Palliativstationen und in Hospizen. Bleibt nur etwa ein Viertel, das noch in den vertrauten vier Wänden sterben kann. Aber auch das heißt nicht, dass diejenigen im Tod nicht allein sind.
Die Versingelung unserer Gesellschaft schreitet voran, immer mehr Menschen leben heute für sich. Das alles führt am Lebensende häufig zu Gefühlen von Einsamkeit und Verlassensein und ist eine der bedrückendsten Ängste von Sterbenden. Hinzu kommt die gewachsene Mobilität in unserer Gesellschaft, die jüngere und ältere Familienmitglieder räumlich oft weit voneinander trennt. Das Kind lebt in Hamburg, der sterbende Elternteil in Südbayern – da sind vielleicht Besuche möglich, aber keine kontinuierliche Begleitung auf der letzten Wegstrecke, zumal, wenn man auch noch eine eigene Familie und einen Job hat. Man will niemandem, schon gar nicht den Kindern, wenn es sie denn gibt, zur Last fallen. Aber wer kümmert sich, wenn ein Mensch im Laufe einer Krankheit seine Unabhängigkeit verliert? Wer kümmert sich um die notwendigen Verrichtungen des Alltags? Mit wem kann er reden, wenn ihn Sorgen und Ängste quälen, wenn er verzweifelt ist?
Und was machen umgekehrt Angehörige und Freunde mit ihrem schlechten Gewissen, wenn sie für den Sterbenden nicht da sein können? Wenn Berufstätigkeit, die eigene familiäre Situation oder die Wohnverhältnisse nicht erlauben, einen Schwerstkranken zu Hause zu betreuen?
Ambulante Hospizdienste können hier eine große Hilfe sein. Sie ermöglichen Sterbenden zum einen, zu Hause zu bleiben, und entlasten zum anderen Angehörige, die an ihre Grenzen stoßen, von der Situation körperlich und seelisch überfordert sind. Und sie bieten etwas, das nicht nur allgemein in unserer Gesellschaft, sondern auch in unserem Medizinsystem zur kostbaren Rarität geworden ist: Zeit. »Kein noch so freundlicher Arzt oder Pfleger kann sich
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