Sterben für Anfänger: Wie wir den Umgang mit dem Tod neu lernen können (German Edition)
Rückkehr? Eine Heimkehr vielleicht zu einem Zustand, in dem wir waren, bevor es uns gab? Viele sehen Geborenwerden und Sterben als Teil eines Kreislaufs, häufig werden Parallelen gezogen zwischen Geburt und Tod, denn es sind die einzigen Ereignisse, die unumstößlich jeden Menschen betreffen.
Und so sieht auch Sterbebegleiterin Barbara Schoppmann ihre Arbeit ganz ähnlich der einer Hebamme: »Wir können den Menschen in dieser Situation nicht abnehmen, durch diesen Prozess hindurchzugehen, mit allen Ängsten und Schmerzen. Aber wir können sie unterstützen, können ihnen helfen, auf ihrem Weg weiterzukommen und einfach für sie da sein.« Wie dieser Weg im Einzelnen aussieht, wie lange er dauert, ist sehr unterschiedlich. Es gibt vielleicht so etwas wie Wegmarken entlang der Strecke, die sich ähneln, aber für jeden werden sie anders sein, der eine wird sie bewusst wahrnehmen, der andere mag sie verdrängen. Weil das Sterben letztlich so individuell ist, können wir nur eine ungefähre Vorstellung davon erlangen, was während dieser Schlussphase des Lebens passiert.
Vom Festhalten und Loslassen
Dunkel ist die Nacht und mein Herz ist voller Furcht, doch ich will die Lampe aufnehmen,
meine Tür öffnen und ihm Willkommen bieten.
Dein Bote ist es, der vor meiner Türe steht.
Rabindranath Tagore
In einem Gespräch, das ich mit Karl Kardinal Lehmann, dem Bischof von Mainz, über das Sterben führte, erzählte er mir von einem Krankenhausaufenthalt vor vielen Jahren und seiner Unterhaltung mit einer jungen Krankenschwester. Täglich hatte sie mit Schwerstkranken und Sterbenden zu tun, und es beeindruckte ihn, wie gefasst sie ihre schwierige Arbeit bewältigte. Als er sie fragte, was Menschen das Sterben denn erleichtere, was es ihrer Erfahrung nach brauche, um ruhig aus dem Leben gehen zu können, war ihre Antwort einfach und klar: »Ach wissen Sie«, sagte sie ihm, »es ist nicht mehr so schwer, wenn die Menschen erst einmal loslassen können.«
Das Loslassen ist also ein entscheidender letzter Schritt. Und es ist ein Wort, das wir auch in Begriffen wie »Ge-lassenheit« oder »Er-lösung« wiederfinden. Der Mensch muss sich von allem lösen, muss alles lassen: Besitz, Macht, Ansehen, die Menschen, die er liebt, sein »Ich«, seine gesamte Existenz. Es bleibt ihm nichts. Das Zugehen auf den Tod ist deshalb immer ein Ringen, ein Kampf, genährt vom Wunsch, das Leben festzuhalten. Aber ein ruhiger, ein guter Tod ist leichter, wenn man am Ende einwilligen kann in das, was mit einem geschieht. Das ist kein einfacher Weg, sondern ein komplexer Prozess, der sich in verschiedenen Phasen vollzieht.
Die Ärztin Elisabeth Kübler-Ross geht von fünf Phasen des Sterbens aus, die von jeweils bezeichnenden emotionalen Reaktionen geprägt seien: In der ersten Phase des Nicht-wahrhaben-Wollens und der Isolierung kann der Sterbende die Tatsache seines bevorstehenden Todes noch nicht akzeptieren. Er wehrt sich dagegen und leugnet die Fakten. Er hält die tödliche Diagnose für einen Irrtum oder klammert sich daran, dass schon noch rechtzeitig ein rettendes Medikament gefunden wird.
In der zweiten Phase spielt die Wut eine zentrale Rolle, der Zorn darüber, dass es einen getroffen hat, während andere verschont bleiben. »Warum ich?«, fragen sich die Betroffenen in dieser Phase, oder: »Warum muss ich so jung sterben, und jemand, der schon so alt ist, vielleicht sogar sterben will, darf weiterleben?«
Nach diesem Sich-Aufbäumen beginnt der Sterbende in der dritten Phase zu verhandeln, jetzt wird mit dem »lieben Gott« oder dem Schicksal gefeilscht: »Lieber Gott, wenn ich das doch überstehe, dann ändere ich mein Leben, gebe ich mein ganzes Geld für einen guten Zweck …«
Nach einer Zeit der Depression und Trauer, der vierten Phase, in der dem Menschen klar wird, dass alles zu Ende geht, er alles verlieren wird, er sich damit abfinden muss, dass sein Leben so und nicht anders war, kommt schließlich die letzte Phase: die Zustimmung. Jetzt ist der Sterbende bereit, den bevorstehenden Tod anzunehmen, in ihn einzuwilligen.
Über dieses Phasen-Modell von Elisabeth Kübler-Ross 23 ist viel diskutiert worden. Vielen erscheint es unzureichend, weil es das Sterben als linearen Prozess beschreibt. Sterbebegleiterin Barbara Schoppmann nimmt dieses Modell als Hilfskonstrukt durchaus ernst, tatsächlich erlebten viele Sterbende solche hoch emotionalen Zustände von Aggression, Depression und Akzeptanz. Aber selten würden
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