Sterben für Anfänger: Wie wir den Umgang mit dem Tod neu lernen können (German Edition)
Aufgabe«, sagt Christine Schiessl, »das Gespräch zwischen Menschen in Gang zu bringen, die sich noch so viel zu sagen haben, aber oft nicht wissen, wie.« Hier sind die Psychologen der multi-professionellen und auch multikulturellen Palliativteams gefordert. Und da gilt besonderes Augenmerk auch den Angehörigen, die sich durch die Krankheit und den nahen Tod eines geliebten Menschen Herausforderungen gegenübersehen, von denen sie manchmal völlig überfordert sind. Sie sind meist die wichtigsten Unterstützer des Sterbenden, Ansprechpartner für alle zentralen Fragen, sie müssen für die Familie das Geld verdienen, finanzielle Belastungen tragen, manchmal mit neuen Aufgaben auch eine ungewohnte Rolle übernehmen. Sie sind selbst betroffen, und doch bleibt im Lauf einer schweren Erkrankung für sie keine Zeit und kein Raum. In der Palliativbehandlung können sie oft zum ersten Mal über die eigenen Sorgen und Ängste sprechen.
»Kommt, reden wir zusammen, wer redet, ist nicht tot«, heißt es in einem Gedicht von Gottfried Benn. Und tatsächlich ist Reden, ist Kommunikation lebenswichtig. Reden ist Medizin, kann Leid lindern und trösten, wenn »richtig« geredet wird.
In seinen Vorträgen, die ich häufig gehört habe, spricht der Mediziner Matthias Volkenandt über die zentrale Bedeutung der Kommunikation zwischen Ärzten und Patienten. Seine Erkenntnisse können aber auch auf jede andere Form der Kommunikation unter Menschen übertragen werden. Ich will nur zwei seiner Merksätze nennen, die ganz einfach sind und mir schon in etlichen Gesprächen mit anderen hilfreich waren. Zum einen der Satz »Fragen kann nicht schaden«, zum anderen die Erkenntnis »gute Gespräche dauern nicht länger als schlechte Gespräche«.
Wenn wir uns also schon die Zeit nehmen, miteinander zu reden, dann soll es sich wenigstens lohnen. Dann wollen wir über das reden, was wichtig ist, uns auf den anderen einlassen und vor allem fragen. Denn fragen ist wichtiger als selber reden. Und das gilt fürs Gespräch über den letzten Spanienurlaub genauso wie fürs Reden über Sterben und Tod.
Was passiert beim Sterben?
Der Tod ist das Tor zum Licht.
Franz von Assisi
»Ich war in einem Raum, der aber eigentlich gar kein Raum war, sondern ein großes, unendliches Nichts. Und alles war grün, grün und neblig. Da war kein Boden, kein Untergrund, nichts Greifbares, nur dieses verrückte Grün. Ich konnte mich selber sehen, von oben hinten links, aber eigentlich von allen Seiten, aus jeder Perspektive. Es war, als hätte ich tausend Augen, mit denen ich alles beobachtete. Ich trug eine Jeans, meine Lieblingsschuhe und ein weißes Hemd mit roten Streifen. Jedes Detail konnte ich erkennen. Am Ende dieses Nichts war eine Tür mit schwarzen Zargen, ein Torbogen, und dahinter leuchtete ein Licht, das ich nicht mit Worten beschreiben kann. Dieses Licht zog mich magisch an, ich wollte nur noch dorthin, ich schwebte ihm entgegen, auf drei Gestalten zu, die dort auf mich zu warten schienen. Aber ich konnte sie nicht erkennen. Sie waren schwarz, aber nicht böse oder finster. Sie waren so dunkel, weil sie ja vor diesem unglaublich hellen Licht standen, wie Schattenrisse. Ich habe nur noch den Weg dorthin, auf dieses Licht zu, gesehen. Meinen Körper konnte ich spüren, aber er war mir lästig, ich wollte ihn loswerden, er schien mich aufzuhalten, zurückzuhalten. Und je näher ich kam, desto wunderbarer war dieses Gefühl von Glück. Es war das Schönste, was ich jemals empfunden habe.«
Ist so der Übergang zum Tod? Liegt er jenseits dieser Pforte? Ist Sterben ein solches Hinübergehen ins Licht? Ein Moment unvorstellbaren Glücks? Tarik, von dem diese Sätze stammen, ist überzeugt davon. Was so mystisch, fast psychedelisch klingt, war ein Nahtoderlebnis, das er nach einem schweren Unfall hatte. Seither, sagt er, habe er die Angst vor dem Tod verloren.
Es war eine fröhliche Geburtstagsparty gewesen, bei einem Freund seiner Schwester, in einer Wohnung im vierten Stock eines Münchener Altbaus. Gegen halb zwei morgens löste sich die Gesellschaft allmählich auf, der Gastgeber musste am nächsten Morgen früh raus. Seine Schwester war schon unten, erinnert sich Tarik, während er sich oben noch mal festgequatscht hatte. »Tarik«, rief sie, »komm endlich! Das Taxi ist da!« Er verabschiedete sich eilig, die Tür klappte hinter ihm zu – und das ist das Letzte, das er von dieser Nacht noch weiß.
Erst viel später erfuhr er, was damals
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