Sterben für Anfänger: Wie wir den Umgang mit dem Tod neu lernen können (German Edition)
Innenleben zu zeigen, die Fähigkeiten, sich auszudrücken, waren eben nur sehr eingeschränkt. Sie hat in ihrer kleinen Malgruppe heiter-beschwingte und sehr ausdrucksvolle Bilder gemalt, hat bis wenige Monate vor ihrem Tod noch Klavier gespielt, und zwar mit Hingabe und sehr differenziertem Ausdruck. Ihr »Schlager«, wie sie immer sagte, war die A-Dur-Sonate von Mozart, das Andante Graziosa – wir haben das Stück im Trauergottesdienst noch einmal für sie gespielt.
Manchmal überraschte sie uns bis zum Schluss mit Formulierungen, die wie Sternschnuppen aus dem Himmel zu fallen schienen, wie kleine helle Lichter in dunkler Nacht. Ich erinnere mich zum Beispiel an ein Gespräch mit ihr über das, was nach dem Tod wohl sein würde. Ich fragte sie, was sie denn glaube, wo die Menschen seien, die gestorben wären. »Im Himmel«, sagte sie sofort. Und auf meine Frage, was das denn sei, der Himmel, antwortete sie: »Der Himmel ist für mich kein Ort, sondern ein Zustand.«
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Was also bedeutet der Tod? Ist er Ende, Vernichtung, der letzte allumfassende Verlust? Oder gibt es ein Danach?
Dies sind zentrale Fragen, um die Religionen, Mythologien und die Philosophie kreisen, seit der Mensch seine eigene Sterblichkeit erkannt und die Unvermeidbarkeit des Todes begriffen hat. Viele spirituelle Traditionen vermitteln die Vorstellung von einem »Danach« und geben den Menschen damit die Zuversicht, dass der Tod eben nicht das Ende ist, sondern eine Verwandlung, der Eintritt in eine andere Wirklichkeit. Mit dem Versprechen, dass danach etwas kommt, nimmt sie die Ungewissheit und damit die Angst. Der Psychiater C. G. Jung hat die Religion deshalb als »kompliziertes System zur Vorbereitung auf den Tod« 26 beschrieben.
Schon im alten Ägypten war der Tod nur eine Station im Übergang in eine andere Existenz. Der Tote wurde in ein ewiges Leben hineingeboren und die Seele zu ihrem Ursprungsort zurückgebracht. Nach der griechischen Mythologie lebten die Toten als Schatten in der Unterwelt weiter und führten ein Leben ohne Freude, aber auch ohne Leid, nachdem sie aus dem Fluss Lehte getrunken hatten, dem Fluss des Vergessens. Auch Platon war von der Unsterblichkeit der Seele überzeugt und verstand den Tod als ihre Trennung vom Körper, als Befreiung aus einem Gefängnis. Und die Swanen, ein georgisches Bergvolk, fühlen sich mit ihren Toten eng verbunden und glauben, dass sie nur durch eine dünne Wand von ihnen getrennt sind.
Viele Religionen und Mythen kennen die Vorstellung von einem Paradies, das häufig als Schlaraffenland oder als blühender Garten beschrieben wird. Ebenso verbreitet ist allerdings auch das Bild von Fegfeuer und Hölle, einem düsteren Ort der Hoffnungslosigkeit, an dem Menschen entsetzliche Qualen erdulden müssen, als Strafe für ein verfehltes Leben. Die Hölle ist also eine Mahnung an die Lebenden, bewusst und verantwortungsvoll zu leben.
Einer Studie der Bertelsmann-Stiftung aus dem Jahr 2012 zufolge glauben in Deutschland übrigens zwei Drittel der Menschen an ein Leben nach dem Tod. Interessanterweise sind es vor allem die Jüngeren unter dreißig, die in diesem Glauben sicherer und gefestigter sind als die Älteren.
Sosehr die Kernfragen nach Tod und Sterben die verschiedenen Kulturen und Religionen verbinden, so unterschiedlich sind doch die Vorstellungen von dem, was uns danach erwartet. Östliche Religionen sehen die menschliche Existenz als immerwährenden Kreislauf. Der Tod ist etwas Selbstverständliches, dem man sich nicht entziehen kann, sagt der Dalai Lama. Er sieht »den Tod eher so, wie wenn man Kleider wechselt, wenn sie alt und abgetragen sind, und nicht als letztes Ende« 27 .
Im tibetischen Buddhismus ist der Tod schon in der regelmäßigen Sterbemeditation, der »Phowa«, allgegenwärtig. Sie soll den Geist auf diesen Übergang vorbereiten und im Moment des Todes das Loslassen erleichtern. Leben und Tod sind danach Teile eines großen Ganzen, wobei mit dem Tod nur ein neues Kapitel aufgeschlagen wird. Nach der Lehre des Tibetischen Totenbuchs, einer Schrift aus dem 8. Jahrhundert, gibt es eine Abfolge von Übergängen, sogenannter »Bardos«: Auf Leben folgen Sterben und Tod, danach der Zustand zwischen Tod und Wiedergeburt, und schließlich beginnt mit der Wiedergeburt ein neues Leben und so fort.
Dieser immerwährende Zyklus, das »Samsara«, wiederholt sich so oft, bis der Zustand der Erleuchtung erreicht ist. Dann erst kann die Seele endgültig verlöschen – dieses
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