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Sterben für Anfänger: Wie wir den Umgang mit dem Tod neu lernen können (German Edition)

Sterben für Anfänger: Wie wir den Umgang mit dem Tod neu lernen können (German Edition)

Titel: Sterben für Anfänger: Wie wir den Umgang mit dem Tod neu lernen können (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Conrad
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verdrängen. »Manchmal«, sagte mir Kardinal Lehmann in unserem Gespräch, »ertappe ich mich auch bei diesem Gefühl, dass alles doch immer weitergeht. Dann muss ich mich zur Ordnung rufen und mir sagen: Nimm den Tod ernst!« Wir können ihn nicht ausradieren, wir können ihn nicht umgehen, müssen uns ihm vielmehr stellen. Jede Begegnung mit dem Tod ist deshalb eine Aufforderung an die Lebenden, ein gutes Leben zu führen, die Erinnerung: Du kannst noch etwas ändern, du kannst noch umkehren, du hast noch Zeit! »Gemeint ist aber nicht eine leere Zeit, sondern eine Zeit, die du füllen und produktiv umsetzen musst, solange du sie noch hast«, sagt Kardinal Lehmann. »Denn unser Tun hat Gewicht, auch über den Tod hinaus.« Es ist die Zeit, uns zu fragen: Was ist mein Ziel? Was will ich erreichen? Dabei zählt auch der gute Wille, selbst wenn man sein Ziel nicht erreicht, selbst wenn man scheitert. Dass man die gute Absicht hatte, fällt ebenso in die Waagschale wie die Reue darüber, falsch gehandelt zu haben. Das ist Lehmanns Verständnis nach auch die Bedeutung des »Fegfeuers«, das man sich aber »nicht als einen Ort vorstellen darf. Es ist ein Bild für den Moment der Erleuchtung und der Reinigung, dem jeder im Augenblick seines Todes ausgesetzt ist.« Noch einmal wird sich der Mensch selbst gegenübergestellt. Noch einmal kann er sich in diesem Augenblick fragen: Was war gut? Was war falsch? Und er kann bereuen. »Da findet eine letzte Entscheidung statt, zwischen Licht und Dunkel, zwischen Ja und Nein. Es ist eine letzte Geburt, und dann steht der Mensch ganz nackt vor Gott.« Beim großen Weltgericht am Ende der Zeit findet die letzte Konfrontation jedes Menschen mit sich selbst statt, mit seiner eigenen Wahrheit, mit den Konsequenzen seines Lebens.
    Auch im Christentum kommt mit dem Tod also nicht die einfache »Instant-Erlösung«. Es gibt keinen Freifahrtschein ins Ewige Leben, für niemanden. Und nach christlichem Verständnis ist das Leben nach dem Tod auch nicht einfach eine Verlängerung des Diesseits, kein Trost und Ersatz für all das, was wir in unserem hiesigen Leben vielleicht verpasst haben, was uns verwehrt geblieben ist. Auch wer ewiges Glück erwartet, wird enttäuscht, denn was ist schon Glück, und kann es überhaupt von Dauer sein? Der Mensch kann doch nie aufhören, sich nach etwas zu sehnen, kaum ist ein Bedürfnis befriedigt, schafft er sich schon ein neues. »Ein erreichtes Paradies«, sagt Kardinal Lehmann, »hört von selbst auf, eines zu sein.« Die Ewigkeit verspricht nach christlichem Verständnis also nicht einfach einen weiteren Superlativ. Nach der Verheißung der Bibel ist es etwas, das »kein Ohr je gehört« und »kein Auge je gesehen hat« (1 Korinther 2, 9). Es ist das Versprechen, dass der Tod nicht das letzte Wort hat, dass er nicht das Ende, sondern eine Verwandlung ist, dass Gott den Tod auf immer vernichtet (Jesaja 25, 8). 30
    An dieses Versprechen ist auch der Gedanke von der Auferstehung geknüpft: Es ist nicht einfach alles vorbei, wir gehen nicht unter. Auch da verweist Kardinal Lehmann auf die Bildkraft der Sprache. »Bleiben wir bei der Alltagsbedeutung und der Vorstellung, die das Wort ›aufstehen‹ in uns auslöst: Ich stehe wieder auf, wenn ich geschlafen habe oder krank gewesen bin. Der Mensch will immer wieder aufstehen, er lässt sich nicht unterkriegen, er ist im Wesen ein Aufständischer.« Aufstehen und Auferstehen nach dem Tod heißt: Es ist nicht zu Ende, es geht weiter – und Gott ist immer da. »Im Tod«, sagt Kardinal Lehmann, »kommen wir nach Hause. Wie im Gleichnis vom Verlorenen Sohn werden wir in die Arme genommen und erfahren: Du bist jetzt daheim, du bist sicher und gerettet.«
    *
    Mein Vater hatte mir mehrfach gesagt, dass ihm wichtig sei, noch einmal einen Pfarrer zu sehen und die Krankensalbung und das Viaticum, die Wegzehrung, zu erhalten. Für Sonntagvormittag war der Besuch eines Priesters angekündigt, aber schon Stunden vorher war mein Vater nach Schmerzen und viel Unruhe unter Morphium in einen friedlichen Dämmerzustand gefallen. Ich hielt seine Hand, die er ab und zu drückte, und ich wusste, dass dies meine letzten Stunden mit ihm waren. Es war eine sehr besondere, ganz ruhige Stimmung im Raum, als sich die Tür öffnete und der Pfarrer hereinkam. Im gleichen Moment drückte mein Vater meine Hand und bewegte die Lippen. Ich weiß, er hatte auf den Priester gewartet. Er erhielt die Krankensalbung, die nach katholischem

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