Sterben für Anfänger: Wie wir den Umgang mit dem Tod neu lernen können (German Edition)
in einem offenen Brief zu einem Ende des gegenseitigen Blutvergießens aufgerufen. Die Waffenruhe kam – zu spät für Uri und mehr als fünfzehnhundert andere, die in den 34 Tagen dieses Konflikts starben. Was für uns, wenn wir uns überhaupt noch daran erinnern, nur eine Randnotiz des Weltgeschehens war, hat für die Hinterbliebenen der Toten die Welt für immer verändert.
Der Abschied von einem Menschen, der unser Leben geprägt hat, stellt unsere Welt, wie wir sie bis zu diesem Zeitpunkt kannten, auf den Kopf. Es ist nicht nur legitim, dass wir das betrauern, Trauer ist wichtig. Sie ist der Weg, vielleicht der einzige Weg, der uns an den Punkt führt, an dem wir neu anfangen können.
Viele, mit denen ich über das Trauern gesprochen habe, wussten zu berichten, dass das Umfeld mit diesen starken, verzweifelten Gefühlen oft nicht gut umzugehen weiß. Dass die anderen denjenigen, die einen Verlust erlitten haben, häufig ausweichen. Oft fehlen die Worte. Manche fühlen sich unwohl mit Formeln und Redewendungen wie »Herzliches Beileid« und sagen deshalb lieber gar nichts. Dabei kann eine Formel schon erlösend sein oder einfach der Satz: »Ich weiß nicht, was ich sagen soll.« Damit fühlt sich ein Mensch, der einen Verlust erlitten hat, in seiner Not zumindest wahrgenommen.
Andererseits sind beruhigend und beschwichtigend gemeinte Sätze wie »nun ist er erlöst« oder »sie hatte doch ein gutes Leben«, »es war besser so« nicht unbedingt hilfreich, sie versuchen gutzumachen, was in diesem Augenblick einfach nicht gutzumachen ist. Selbst wenn es stimmt und der Verstorbene nun nicht mehr leiden muss, so ist da doch diese bohrende, pochende Wunde des Verlusts, die nur langsam heilen kann. Und das braucht Zeit.
Es kann schwer sein, die Verzweiflung, das Weinen, die ohnmächtigen Fragen eines Trauernden zu ertragen, sagt der Kapuzinermönch Paulus Terwitte, der häufig solche Gespräche mit Mitgliedern seiner Gemeinde führt. Es gehe darum, einfach zuzuhören, ohne fromme Worte und beschwichtigende, patente Antworten. Trösten heiße nicht, den Schmerz kleinzureden, den Trauernden um- oder fröhlicher zu stimmen, es bedeute einfach, seinen Schmerz auszuhalten.
Eigentlich scheint es doch eine Selbstverständlichkeit zu sein, einem Trauernden zur Seite zu stehen, aber Bruder Paulus kann da von anderen Erfahrungen berichten. Trauer, sagt er, passe nicht in unsere auf »Funktionsfähigkeit« ausgerichtete Gesellschaft. Wir brauchen die Schnellen, nicht diejenigen, die durch die Trauer langsam und bedrückt durchs Leben schleichen.
Auch Ursula hat mir erzählt, dass nach dem Tod ihres Sohnes viele Kollegen befremdet reagierten, wenn ihr plötzlich in einer Sitzung die Tränen über das Gesicht liefen, wenn sie den Raum verlassen musste, weil das Weinen sie regelrecht durchschüttelte. Trauern, das ist heute etwas Privates, etwas, das man versteckt und für sich in den eigenen vier Wänden erledigt. Die Trauer wird wegorganisiert, delegiert. Es gibt die Orte, an denen sie akzeptiert, und die Bereiche, aus denen sie verbannt ist. Am Grab – ja, im Büro – nein. Auch die Verzweiflung muss fein säuberlich da stattfinden, wo sie hingehört, und sollte, bitte schön, im zeitlichen Rahmen bleiben. Nach drei Monaten den Kummer immer noch nicht überwunden zu haben, das ist nicht akzeptabel.
Woran liegt das? Warum ist uns die Trauer anderer so unangenehm? Sie macht ratlos und ohnmächtig. Und sie konfrontiert einen mit der Angst vor der eigenen Sterblichkeit und drohendem Verlust. Wir haben verlernt, mit Verlust und Abschied umzugehen, sagt Paulus Terwitte. Wir wollen nichts hergeben, uns von nichts trennen. Wir wollen haben, Dinge bekommen.
Dabei ist aber auch das »Bekommen« oft Auslöser für eine Krise. Sich zu verlieben beispielsweise – was für eine Katastrophe! Ein bisher fremder Mensch nimmt plötzlich eine neue, zentrale Rolle im Leben ein. Und im Gepäck hat er nicht nur die faszinierenden, geliebten Charakterzüge, sondern auch jede Menge nerviger Eigenschaften. Plötzlich sind da seine Freunde, seine Familie, ein geschmackloses Möbelstück, ein Hobby, das ich ätzend finde … und das alles soll nun Platz in meinem Leben haben?
Ein Kind zu bekommen ist noch viel einschneidender. Das ganze Leben ändert sich – und zwar für immer. Plötzlich trägt man Verantwortung für einen kleinen Menschen, den man bis eben noch gar nicht kannte. Man muss auf einmal alle eigenen Bedürfnisse zurückstellen:
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