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Sterben für Anfänger: Wie wir den Umgang mit dem Tod neu lernen können (German Edition)

Sterben für Anfänger: Wie wir den Umgang mit dem Tod neu lernen können (German Edition)

Titel: Sterben für Anfänger: Wie wir den Umgang mit dem Tod neu lernen können (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Conrad
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Glauben dem Sterbenden Stärkung und Aufrichtung im Leid schenken soll und das Vertrauen auf das Ewige Leben. Anschließend bekam er die Sterbekommunion als Wegzehrung für seine letzte Reise. Weil er sie selbst nicht mehr zu sich nehmen konnte, wurde die Hostie auf seine Lippen gelegt, und anschließend habe ich sie für ihn empfangen. Aufgehoben in diesem uralten kirchlichen Ritual habe ich diesen Augenblick als unendlich traurig und gleichzeitig wunderbar tröstlich empfunden.
    Bevor er ging, sagte der Pfarrer noch zu mir: »Wissen Sie, oft können Menschen nicht sterben, wenn ihre Angehörigen im Raum sind, weil es ihnen schwerfällt, sie zu verlassen. Seien Sie also nicht traurig, wenn er sich genau dann verabschiedet, wenn Sie nur für einen Moment aus dem Zimmer gegangen sind. Lassen Sie ihn einfach gehen.«
    Als wir allein waren, habe ich meinem Vater gesagt, es sei nun alles gut und er könne gehen, wann immer er wolle. Zwei Minuten später hat er aufgehört zu atmen, und obwohl mein Impuls war, ihn festzuhalten und zurückzuholen, habe ich ihn gehen lassen.
    Mein Vater hat gerne gelebt, und ich weiß, dass er gern noch ein bisschen mehr Zeit gehabt hätte. Aber die Demut, in der er das Unvermeidliche akzeptiert, die Tapferkeit, mit der er die Qualen seiner letzten Wochen ertragen hat, haben mir ebenso Mut gegeben wie die Erinnerung an seinen friedlichen und würdevollen Tod. Diese Erinnerungen werden mich auf meinem Weg ans gleiche Ziel begleiten.
    Meine Mutter hat den Tod meines Vaters aufgrund ihrer Alzheimer-Erkrankung nie verinnerlicht, zumindest nicht nach unserer Wahrnehmung. Jedes Mal, wenn wir versuchten, ihr verständlich zu machen, dass er gestorben war, geriet sie darüber so außer sich, dass wir es irgendwann auf sich beruhen ließen. Bis zuletzt hat sie ihren Mann gesucht, bei allem, was ihr Freude bereitete, sagte sie, »das wird Oskar auch gefallen«, und wenn sie bei uns zu Hause war, drängte sie irgendwann immer zum Aufbruch, weil Oskar sicher schon auf sie wartete. Manchmal habe ich sie fast darum beneidet, dass es den Tod für sie einfach nicht mehr gab, sie hatte ihn vergessen und so blieb ihr die Angst vor ihm ebenso erspart wie der Schmerz der Trauer und des Abschieds. Ich hoffe, sie hat ihren Oskar gefunden. In meiner Erinnerung jedenfalls sind sie für immer vereint.

Trauer und Neuanfang
    Trauer bedeutet, im Exil zu leben,
sein Zuhause verloren zu haben.
David Grossmann
    Als meine Eltern starben, erst mein Vater, zwei Jahre später meine Mutter, fühlte ich mich völlig entwurzelt. Das Gefüge, das mir seit meiner Kindheit Halt und Sicherheit gegeben hatte, gab es nicht mehr. Ich war mutter- und vaterseelen-allein, verzweifelt wie ein kleines Kind, das nach Mama und Papa weint.
    Die Intensität dieses Schmerzes hat mich überrascht, denn meine Eltern hatten ein respektables Alter erreicht, und beide waren sie schwerkrank gewesen. Ihr Tod war langsam gekommen. Von meiner Mutter hatte ich mich über Jahre verabschiedet, Stück für Stück, während sie allmählich in diese andere Welt ohne Vergangenheit, ohne Erinnerung hinüberglitt. Ich dachte, ich sei vorbereitet, aber ich war es nicht. Mit meiner Mutter habe ich den Menschen verloren, der von der ersten Sekunde meiner Existenz an immer bei mir war, mit meinen Eltern die beiden, denen ich verdanke, auf der Welt zu sein. Dass es sie nicht mehr gibt, bedeutet, dass ich kein Kind mehr bin, niemandes Kind mehr sein werde, und das macht mich heute manchmal noch ganz verzweifelt.
    Wie können wir den Schmerz ertragen, wenn ein geliebter Mensch gestorben ist, wie weiterleben ohne ihn? Wie sollen wir einen neuen Anfang finden?
    Ein so tiefgreifender Verlust überflutet diejenigen, die zurückbleiben, mit ungekannter Verzweiflung, in Wellen, immer wieder und wieder. Wie von einer Woge wird man mitgerissen, unter Wasser gedrückt, ein Gefühl, als würde man keine Luft mehr bekommen.
    In seinem Buch Aus der Zeit fallen führt der israelische Schriftsteller David Grossmann den Leser an diesen schrecklichen, einsamen Ort der Trauer, den alle Zurückgelassenen kennen. Er nennt ihn »Land der Verdammung« und beschreibt eine Welt der »Dunkelstille« 31 , ohne Worte, ohne Farben, in der es keinen Trost und keine Zeit zu geben scheint.
    Grossmanns Sohn Uri war im August 2006 in den letzten Tagen des Libanon-Kriegs gefallen, zwei Wochen vor seinem 21. Geburtstag. Wenige Tage davor hatte sein Vater noch zusammen mit anderen israelischen Autoren

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