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Sterben für Anfänger: Wie wir den Umgang mit dem Tod neu lernen können (German Edition)

Sterben für Anfänger: Wie wir den Umgang mit dem Tod neu lernen können (German Edition)

Titel: Sterben für Anfänger: Wie wir den Umgang mit dem Tod neu lernen können (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Conrad
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einer radiologischen Praxis saß, fühlte ich mich sicher und völlig angstfrei. Ich hatte zwar einen Knoten getastet und auch ein schmerzhaftes Ziehen in der Brust gespürt, aber mein Frauenarzt hatte mich beruhigt: Krebs tut nicht weh, hatte er erklärt, vermutlich sei das eine entzündete Brustdrüse – nichts Ernstes jedenfalls. Die Mammographie hatte er nicht wirklich für nötig gehalten, aber, na gut, zur Kontrolle, sie wäre ohnehin irgendwann fällig gewesen. Ich war also gelassen, bis sich der Gesichtsausdruck des Röntgen-Arztes plötzlich veränderte. »Das sieht nicht gut aus«, sagte er unvermittelt und schaute mit zusammengekniffenen Augen auf das Ultraschallbild, auf dem ich nicht viel erkennen konnte. Nur graue Schlieren, wie Wellen in einem aufgewühlten bleifarbenen Meer. Und dann war da, wie ein Störenfried, noch dieser kleine dunkle Fleck. »Es tut mir leid«, sagte der Radiologe mit tonloser Stimme, »ich fürchte, Sie müssen sich auf das Schlimmste gefasst machen.« »Das Schlimmste« war ein Mamakarzinom, ein kleiner, aber sehr gemeiner Tumor, der in meiner Brust gewachsen war und schon in die Lymphknoten gestreut hatte.
    Da war sie wieder, die »Angscht«. Diesmal war der Schatten an der Wand mein eigener Tod. Ein Gefühl, als würde der Boden unter mir wegbrechen. Der Krebs lehrte mich und meine Familie das Fürchten. In den Tagen nach der Diagnose hatte ich das Gefühl, von allem und jedem wie durch eine unsichtbare Wand getrennt zu sein. Mein Leben war plötzlich aus den Fugen geraten. Wer ich war, wofür ich stand, alles war mit einem Mal in Frage gestellt.
    Mütter sind dafür zuständig, dass ihre Kinder vernünftige Schuhe anhaben, das Pausenbrot einpacken und morgens pünktlich aus dem Haus kommen. Sie sorgen dafür, dass man ins Bett geht, obwohl man noch gar nicht müde ist, zwingen einen, alberne Wollmützen aufzusetzen, weil man sich sonst erkälten könnte, und bügeln Ärger aus, wenn in der Schule mal was schiefläuft. Manchmal sind Mütter auch genervt, schlecht gelaunt oder müde, aber sie sind da, wenn man sie braucht. Mütter sind alles Mögliche, doch sie sind nicht krank, jedenfalls nicht ernsthaft. Es passt einfach nicht in die Vorstellungswelt von Kindern, dass Mütter – oder Väter – plötzlich ausfallen, die Dinge nicht mehr unter Kontrolle haben.
    Als ich an Krebs erkrankte, waren meine Kinder acht, vierzehn und siebzehn Jahre alt. Mit ihrer Angst sind sie jeweils sehr unterschiedlich umgegangen. Mein Ältester lenkte sich ab, traf sich mit Freunden, machte viel Sport. Meine Tochter fühlte sich verantwortlich, glaubte, meine Aufgaben übernehmen und sich um mich kümmern zu müssen. »Es ist ein Gefühl, als stünde man ganz hoch oben unter der Zirkuskuppel auf dem Seil, und unten fehlt das Netz«, so hat sie mir einmal beschrieben, wie sie diese Zeit erlebt hat. Unser Jüngster musste zuschauen, wie seine Welt aus den Fugen geriet, wie es seiner Mama immer schlechter ging, sie eine Glatze bekam und sich ständig übergeben musste. Mein Mann war damals der Einzige, der unseren Alltag irgendwie am Laufen hielt. Er war nicht unterzukriegen, aber Angst, das weiß ich, hatte auch er: Wie würde unsere Zukunft aussehen? Würde es eine Zukunft ohne mich sein? Würde ich meine Kinder aufwachsen sehen?
    *
    Ich bin jemand, der über alles immer reden muss. Das war auch während meiner Krebserkrankung nicht anders, und so habe ich mit meinem Mann oft und lange über das »was wäre, wenn« gesprochen. Er war bei mir, wenn ich mir die Seele aus dem Leib kotzte, und machte mir Mut, wenn ich aufgeben wollte. In der Zeit, in der alles dunkel und ausweglos schien, in der ich weder ein Ende des Tunnels und schon gar kein Licht dort sehen konnte, entzündete er im Finstern immer wieder kleine Lampen von Trost und Zuversicht für mich. Dieses Gefühl der Zusammengehörigkeit, die Gewissheit, nicht allein zu sein, machte die Angst erträglich. Ich wusste, wir schaffen das, ganz gleich, wie die Geschichte enden würde. Auch mit den Kindern haben wir damals vorsichtig und doch so offen wie möglich über die Krankheit und die Therapie gesprochen. Vor allem dem Jüngsten habe ich versucht, Schritt für Schritt und seinem Alter entsprechend zu erklären, was da mit mir passierte und warum. Dass der Knoten herausoperiert werden musste, damit er keinen Schaden mehr anrichten konnte. Und dass die bedrohlichen Nebenwirkungen der Chemo eigentlich ein gutes Zeichen waren, denn wenn es

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