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Sterben: Roman (German Edition)

Sterben: Roman (German Edition)

Titel: Sterben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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den Seiten erstreckten. Tastete mit der Hand den Rücken ab, aber dort gab es zum Glück noch nichts, in das man hineingreifen konnte. Trotzdem musste ich wieder laufen gehen, wenn ich nach Bergen zurückkam, so viel war sicher. Und jeden Morgen Sit-ups machen.
    Ich hielt das T-Shirt unter mein Gesicht und roch daran.
    Nun ja, das ging wohl nicht mehr.
    Ich öffnete den Koffer und suchte ein weißes Boo-Radleys-T-Shirt heraus, das ich gekauft hatte, als sie zwei Jahre zuvor in Bergen gespielt hatten, sowie eine dunkelblaue Hose mit abgeschnittenen Beinen. Obwohl die Sonne nicht schien, war die Luft warm und lau.
    Unten hatte Yngve Kaffee aufgesetzt und Brot und Aufstrich aus dem Kühlschrank geholt. Großmutter saß im selben Kleid wie am Vortag am Tisch und rauchte. Ich hatte keinen Hunger und begnügte mich mit einer Tasse Kaffee und einer Zigarette auf der Veranda, ehe ich Eimer, Putzlappen und Putzmittel ins Erdgeschoss mitnahm, um mit der Arbeit zu beginnen. Als Erstes ging ich ins Badezimmer, um mir anzusehen, was ich am Vortag getan hatte. Abgesehen von dem fleckigen und klebrigen Duschvorhang, den ich aus irgendeinem Grund hängen gelassen hatte, sah alles ziemlich gut aus. Verwohnt natürlich, aber sauber.
    Ich nahm die Stange ab, die über der Badewanne von Wand zu Wand reichte, zog den Vorhang herunter und warf ihn in einen Mülleimer, wischte die Stange und die beiden Halterungen ab und hängte sie wieder auf. Anschließend stellte sich die Frage, was ich mir als Nächstes vornehmen sollte. Die Waschküche und die beiden Badezimmer waren fertig. Hier unten standen folglich noch Großmutters Zimmer, der Eingangsflur, der hintere Flur, Vaters Zimmer und das große Schlafzimmer aus. Großmutters Zimmer wollte ich nicht putzen, es wäre mir ihr gegenüber wie ein Übergriff vorgekommen, zum einen, weil ihr dann bewusst werden würde, dass wir wussten, wie es bei ihr aussah, und zum anderen, weil es etwas Entmündigendes gehabt hätte: der Enkel, der das Schlafzimmer seiner Großmutter putzt. Ebenso wenig konnte ich mich zu Vaters Zimmer durchringen, auch weil es dort Papiere und anderes gab, was wir zuerst sortieren mussten. Der Flur mit seinem Teppichboden musste warten, bis wir uns einen Teppichreiniger besorgt hatten. Dann eben die Treppen.
    Ich füllte den Eimer mit Wasser, nahm eine Flasche Klorix, eine Flasche Schmierseife und eine Flasche Viss-Scheuermilch mit und bearbeitete als Erstes das Treppengeländer, das offensichtlich seit mindestens fünf Jahren nicht mehr geputzt worden war. Aller möglicher Dreck lag unten zwischen den Sprossen, zerkrümelte Blätter, kleine Steinchen, vertrocknete Insekten, alte Spinnweben. Der Handlauf war dunkel, an manchen Stellen fast schwarz und stellenweise klebrig. Ich sprühte Viss darauf, wrang den Lappen aus und wischte gründlich jeden Zentimeter. Wenn ein Abschnitt auf die Art gesäubert war und zumindest annähernd seine alte, dunkelgoldene Farbe zurückbekommen hatte, bespritzte ich einen zweiten Lappen mit Klorix und scheuerte damit weiter. Der Geruch von Klorix und das Design der blauen Flasche ließen mich an die siebziger Jahre zurückdenken, genauer gesagt an den Unterschrank der Spüle in der Küche, wo die Putzmittel standen. Viss hatte es damals noch nicht gegeben. Aber Waschpulver von Ajax stand dort in einer Art Pappbehälter; rot, weiß und blau. Schmierseife stand dort. Klorix stand dort; das Aussehen der blauen Plastikflasche mit ihrem geriffelten Verschluss mit Kindersicherung war seit damals unverändert geblieben. Eine andere Marke hieß OMO . Und dann gab es da noch einen Karton mit Waschpulver, auf dem ein Kind abgebildet war, das den gleichen Karton in den Händen hielt und auf dem man natürlich ein Bild desselben Jungen mit dem gleichen Karton in den Händen sah, und so weiter und so weiter. War das vielleicht Blenda gewesen? Jedenfalls zerbrach ich mir oftmals den Kopf über diese Regression, die im Prinzip endlos weiterging und auch andernorts existierte, beispielsweise im Badezimmerspiegel, vor dem man sich so einen Spiegel hinter den Kopf halten konnte, dass die Spiegelbilder hin und her geworfen wurden, während sie gleichzeitig immer weiter nach innen gingen und immer kleiner wurden, so weit das Auge reichte. Doch was passierte hinter dem, was das Auge sah? Ging die Verkleinerung dort weiter? Eine ganze Welt befand sich zwischen den Marken von damals und heute, und als ich an sie dachte, tauchte sie mit ihren Geräuschen und

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