Sterben: Roman (German Edition)
Gerüchen und Aromen auf, ganz und gar unwiderstehlich, wie es alles Verlorene, alles Verschwundene immer an sich hat. Der Geruch von kurzgeschnittenem, frisch gesprengtem Gras, wenn man an einem Sommernachmittag nach dem Training auf einem Fußballplatz sitzt, die langen Schatten der reglosen Bäume, das Kreischen und Lachen von Kindern, die in dem kleinen See auf der anderen Straßenseite badeten, der beißende, süßliche Geschmack von XL -1. Oder der Geschmack von Salz, der unweigerlich in den Mund dringt, wenn man ins Meer springt, obwohl man die Lippen zusammenpresst, sobald der Kopf unter die Oberfläche sinkt, das Chaos aus Strömungen und rauschendem Wasser, aber auch das Licht auf Tang und Seegras und der nackte Fels, die Miesmuscheltrauben und Meereichelfelder, wie alles mild und ruhig glüht, denn es ist ein wolkenloser Hochsommertag, und die Sonne brennt am blauen und hohen Meereshimmel. Das Wasser, das vom Körper tropft, wenn man sich Halt suchend in einer Vertiefung im Fels hochzieht, die Tropfen, die in den kurzen Sekunden, bis die Wärme sie verdampfen lässt, zwischen den Schulterblättern liegenbleiben, während das Wasser in der Badehose hingegen noch lange weitertropft, nachdem man sich auf sein Handtuch gelegt hat. Das Speedboot, das unbändig und arrhythmisch auf den Wellen dahinschießt, ein ums andere Mal schlägt der Bug auf, und ein kurzes Pochen dringt durch den Motorenlärm, wie unwirklich es ist, weil die Umgebung zu groß und offen ist, als dass es seiner Gegenwart wirklich gelingen würde, sich einzuprägen.
Das alles gab es ja noch. Die flachen Felsen waren unverändert, das Meer, das sie überspülte, tat dies wie immer, und auch die Unterwasserlandschaft mit ihren kleinen Tälern und Buchten und jähen Abgründen und Hängen, übersät mit Seesternen und Seeigeln, Krabben und Fischen, war gleich geblieben. Slazenger-Tennisschläger konnte man noch kaufen, genau wie Tretorn-Bälle und Rossignol-Skier, Tyroka-Bindungen und Koflack-Stiefel. Die Häuser, in denen wir wohnten, standen alle noch. Der einzige Unterschied, der gleichzeitig den Unterschied zwischen der Wirklichkeit von Kindern und der von Erwachsenen markierte, bestand darin, dass die Dinge nicht mehr so bedeutungsschwer waren. Ein Paar Le-Coque-Fußballschuhe war bloß ein Paar Fußballschuhe. Fühlte ich etwas, wenn ich heute ein solches Paar in der Hand hielt, war es bloß ein Nachhall aus der Kindheit, sonst nichts, nichts an sich. Gleiches galt für das Meer, für die Felsplatten und den salzigen Geschmack, der während des Sommerhalbjahres so durchdringend die Tage füllte, heute schmeckte es dagegen nur noch salzig, end of story. Die Welt war die gleiche, aber trotzdem eine andere, denn der Sinn in ihr hatte sich verschoben und verschob sich weiter, näher, immer näher zum Sinnlosen hin.
Ich wrang den Putzlappen aus, hängte ihn über den Rand des Eimers und musterte das Ergebnis meiner Arbeit. Das Glänzen im Lack war sichtbar geworden, auch wenn es an manchen Stellen noch dunkle Dreckflecken gab, die sich gleichsam ins Holz eingeätzt hatten. Ich hatte ungefähr ein Drittel des Geländers in der ersten Etage geputzt. Hinzu kam außerdem noch das Geländer in den zweiten Stock.
Im Flur über mir ertönten Yngves Schritte.
Er tauchte mit einem Eimer in der Hand und einer Rolle Müllsäcke unter dem Arm auf.
»Bist du da unten fertig?«, sagte er, als er mich sah.
»Nein, bist du verrückt? Ich bin nur mit Badezimmer und Waschküche fertig. Mit den anderen Zimmern wollte ich noch warten.«
»Ich fange jetzt mit Vaters Zimmer an«, sagte er. »Das dürfte die meiste Arbeit machen.«
»Ist die Küche fertig?«
»Ja. Jedenfalls so gut wie, ich muss noch einen Schrank ausräumen. Aber ansonsten sieht es da gut aus.«
»Okay«, sagte ich. »Ich mache kurz Pause. Ich denke, ich werde was essen. Ist Großmutter in der Küche?«
Er nickte und ging an mir vorbei. Ich strich meine Hände, die von der Feuchtigkeit weich und runzlig waren, an den Oberschenkeln der Shorts trocken, warf einen letzten Blick auf das Geländer und ging in die Küche hinauf.
Großmutter brütete auf ihrem Stuhl. Als ich hereinkam, blickte sie nicht einmal auf. Mir fiel das Medikament ein. Hatte sie es genommen? Mit Sicherheit nicht.
Ich öffnete den Schrank und holte es heraus.
»Hast du das hier heute schon genommen?«, sagte ich und hielt die Packung hoch.
»Was ist das?«, sagte sie. »Eine Arznei?«
»Ja, die, die du gestern
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