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Sterben: Roman (German Edition)

Sterben: Roman (German Edition)

Titel: Sterben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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zeigte auf den Würstchengrill und hob einen Finger.
    »Ich studiere noch«, erklärte ich.
    »Und was?«
    »Literatur.«
    »Stimmt, das war ja dein Ding«, erwiderte er.
    »Ja«, sagte ich. »Siehst du Espen noch manchmal? Und Trond? Und Gisle?«
    Er zuckte mit den Schultern.
    »Trond wohnt ja hier, den sehe ich manchmal. Espen, wenn er Weihnachten nach Hause kommt. Und du? Hast du noch Kontakt zu einem von den alten Kumpels?«
    »Nur zu Bassen.«
    Der Verkäufer legte die Wurst ins Brot, schob es in eine Serviette.
    »Ketchup oder Senf?«, sagte er.
    »Ja, bitte, beides. Und Zwiebeln.«
    »Rohe oder geschmorte?«
    »Geschmorte. Nein, rohe.«
    »Rohe?«
    »Ja.«
    Als die Bestellung damit abgeschlossen war und er seine Wurst in der Hand hielt, wandte er sich wieder mir zu.
    »Es war nett, dich zu sehen, Karl Ove«, sagte er. »Du hast dich nicht verändert!«
    »Du auch nicht«, erwiderte ich.
    Er öffnete den Mund, biss ein Stück von der Wurst ab und gab dem Verkäufer einen Fünfziger. Es entstand ein etwas peinlicher Moment, während er auf sein Wechselgeld wartete, denn wir hatten unser Gespräch ja bereits beendet. Er lächelte schwach.
    »Ja, ja«, sagte er, als er die Hand um die Münzen schloss, die er bekam. »Vielleicht sehen wir uns ja mal wieder!«
    »Bestimmt«, sagte ich. Kaufte den Tabak und stand für einige Sekunden vor dem Ständer mit Zeitschriften und gab mich interessiert, weil ich ihm draußen nicht noch einmal begegnen wollte, als Yngve hereinkam, um zu bezahlen. Er tat es mit einem Tausender. Ich sah weg, als er ihn aus dem Portemonnaie zog, denn ich wollte ihm nicht zeigen, dass ich begriff, er stammte aus Vaters Nachlass, und murmelte stattdessen, dass ich schon mal hinausgehen würde, und schlenderte zur Tür.
    Der Geruch von Benzin und Beton, im Zwielicht unter einem Tankstellendach, gibt es etwas, das mehr Assoziationen auslöst? Motoren, Tempo, Zukunft.
    Aber auch Würstchen und CD s von Celine Dion und Eric Clapton.
    Ich öffnete die Autotür und setzte mich hinein. Yngve kam kurz nach mir, ließ den Motor an, und wir fuhren wortlos weiter.
    Ich ging durch den Garten und mähte das Gras. Die Maschine, die wir gemietet hatten, bestand aus einem Apparat, den man sich auf den Rücken schnallte, und einem Stab mit einer rotierenden Klinge am unteren Ende. Ich fühlte mich wie eine Art Roboter, als ich dort mit großen, gelben Ohrenschützern auf und ab ging, sozusagen in eine dröhnende und vibrierende Maschinerie gespannt, und systematisch alle Baumschösslinge, alle Blumen und alles Gras schnitt, die mir in den Weg kamen. Ich weinte die ganze Zeit. Schluchzer auf Schluchzer durchzuckte mich beim Sensen, und ich kämpfte nicht mehr dagegen an, es durfte kommen, was kommen wollte. Gegen zwölf rief Yngve von der Veranda aus nach mir, und ich ging ins Haus, um mit ihnen zu essen, er hatte Tee und Brötchen auf den Tisch gestellt, was Großmutter uns immer serviert hatte, aufgewärmt auf einem Rost über der Herdplatte, so dass die eigentlich weiche Kruste knusprig wurde und beim Hineinbeißen in großen Stücken abbröckelte, aber ich hatte keinen Hunger und ging schon bald wieder hinaus, um weiterzuarbeiten. Es war eine Befreiung, alleine im Garten zu sein, und noch dazu befriedigend, weil man so schnell Ergebnisse sah. Der Himmel hatte sich zugezogen, die grauweißen Wolken hingen wie ein Deckel darunter, wodurch sich das Dunkel der Meeresfläche mit größerer Schärfe abzeichnete, und die Stadt, die unter einem offenen Himmel wie ein kleiner, unbedeutender Häuserhaufen erschien, ein Fliegenschiss, ein größeres Gewicht und Solidität bekam. Das war der Ort, an dem ich mich aufhielt, das war, was ich sah. Die meiste Zeit war mein Blick auf die rotierende Klinge und die Halme gerichtet, die wie niedergemähte Soldaten fielen, eher gelb und grau als grün, vermischt mit den leuchtend roten Blüten des Fingerhuts und den gelben des Sonnenhuts, aber gelegentlich hob ich ihn auch zum massiven, hellgrauen Dach des Himmels und zum massiven dunkelgrauen Meeresboden, zum Gewirr aus Klappverdecken und Rümpfen, Masten und Bugen, Containern und braunrostigem Schrott auf dem Kai, und zur Stadt hin, die mit ihren Farben und Bewegungen maschinenhaft vibrierte, während mir unablässig Tränen die Wangen hinabliefen, denn Vater, der hier seine Kindheit verbracht hatte, war tot. Vielleicht weinte ich aber auch gar nicht deshalb, sondern aus ganz anderen Gründen, vielleicht kam jetzt alles, was sich

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