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Sterben Sie blo nicht im Sommer

Sterben Sie blo nicht im Sommer

Titel: Sterben Sie blo nicht im Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constanze Kleis
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Bruchteil der Therapien bekam, die sie hätte haben können. Dass sie immer noch nicht schlucken kann. Dass es schön gewesen wäre, jemand hätte auch ihr den trockenen Mund mit einem in Zitronenwasser getränkten, tiefgekühlten Wattebausch ausgetupft. Dass ich nun weiß, was MRSA ist und wie es sich anfühlt, gleichzeitig dauernd total wachsam sein zu müssen und sich trotzdem vollkommen ohnmächtig zu fühlen. Ich sage nichts. Er weiß das alles sowieso. Ich will ihm nicht auch noch den Gefallen tun, sein Potjemkinsches Dorf mit einer weiteren Lüge ›Konstruktives Angehörigengespräch‹ zu dekorieren. Ich höre mir seinen Monolog »Selbstzufriedenheit für Fortgeschrittene« an – »wir haben ja doch noch einiges für Ihre Mutter tun können« – und dann verlassen wir »Bates Motel«, meine Mutter, ihr MRSA , mein Vater, meine Schwester und ich. Nun geht es in die Strahlenklinik. Wider alle bisherigen Prognosen soll es dort einen Nachschlag ›Leben‹ geben.
    Interview mit Dr. Bernd Hontschik
    Es geht auch anders, und es gibt durchaus Hoffnungsträger unter den Ärzten. Auch sie kämpfen gegen die überaus bedenklichen Entwicklungen in der Medizin. So wie Dr. Bernd Hontschik. Er ist Facharzt für Chirurgie in Frankfurt am Main, niedergelassen in einer Gemeinschaftspraxis mit ambulantem Operationszentrum in der Frankfurter Innenstadt und ein engagierter Verfechter einer Medizin, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Ein Ziel, das er außerdem als erfolgreicher Autor und Herausgeber der Taschenbuchreihe »medizinHuman« im Suhrkamp-Verlag verfolgt. Sein Buch »Körper, Seele, Menschen – Versuch über die Kunst des Heilens« wurde ein Bestseller. Er schreibt zusätzlich seit Jahren regelmäßig Kolumnen in der Frankfurter Rundschau , die auch als Buch erschienen sind. Er ist Vorstandsmitglied (seit 1998) der Thure von Uexküll-Akademie für Integrierte Medizin und Mitherausgeber der »Schriftenreihe der Uexküll-Akademie für Integrierte Medizin«. Er ist Mitglied im wissenschaftlichen Beirat der Zeitschrift Chirurgische Praxis . Er ist unter anderem Mitglied der IPPNW (»Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs – Ärzte in sozialer Verantwortung«) sowie in der Ärztevereinigung MEZIS (»Mein Essen zahle ich selbst«). Seit 2010 ist er Projektleiter für Integrierte Medizin am Institut für therapeutische Kommunikation der Steinbeis-Universität in Berlin.
    Sie sind seit mehr als 30 Jahren Arzt, lange auch im Krankenhaus, war früher nicht alles besser?
    Früher war wirklich nicht alles besser. Früher mussten wir im Krankenhaus teilweise 48 Stunden am Stück arbeiten. Früher waren die technischen diagnostischen und die therapeutischen Möglichkeiten viel eingeschränkter und undifferenzierter. Das Computertomogramm, die Kernspintomographie und die Ultraschalluntersuchung haben alle diagnostischen Routinen verändert und verbessert. Auch die Operationsmethoden haben sich erheblich verändert und verbessert, besonders durch das endoskopische Operieren. Und man hat als Arzt bessere und differenziertere Medikamente an der Hand. Endlich gilt das Arbeitszeitgesetz auch für Ärzte, Mammutdienste sind verboten. Pech ist nur, dass statt der erforderlichen Anzahl neuer Stellen Rationalisierung und Arbeitshetze in einem im Vergleich zu früher ungeahnten Ausmaß Einzug ins Krankenhaus gehalten haben, im ärztlichen und im Pflegebereich. Leider hat der Fortschritt auch dazu geführt, dass die eigentliche ärztliche Arbeit verdrängt, teilweise sogar ersetzt wird. Wer heute Kniegelenksschmerzen hat, wird oft direkt ins Kernspintomogramm geschoben, statt dass sein Knie einmal ordentlich untersucht wird. Wer heute Herzschmerzen hat, wird schnell mit einer Herzkatheteruntersuchung ›abgefertigt‹, statt dass eine gründliche Anamnese und ausführliche ärztliche Untersuchung geschieht. Antibiotika werden so unkritisch eingesetzt, dass Resistenzen rasant zunehmen. Und was ich am schlimmsten finde: Die ärztlich-medizinische Entscheidung wird besonders in Krankenhäusern immer unwichtiger. Die Betriebswirte haben das Sagen, die Bilanz muss stimmen, und wenn rote Zahlen da sind, wird nicht die Finanzierung des Gesundheitswesens verbessert, sondern Krankenhäuser werden kaputtgespart.
    In keinem Land werden so viele Krankenhäuser privatisiert wie in Deutschland. Woran liegt das?
    Ich halte die Privatisierungswelle im Krankenhausbereich für eine der schlimmsten der zerstörerischen

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