Sterben Sie blo nicht im Sommer
Stiftung« noch einmal deutlich das Ausmaß an Bürokratie kritisiert hatte (»Von den Milliarden, die für den Kontroll- und Bürokratisierungsaufwand im Gesundheitswesen verschleudert werden, haben die Schwerkranken und Pflegebedürftigen nichts« [66] ), versucht die BARMER GEK ein besonders durchsichtiges Ablenkungsmanöver: Der Vorstandsvorsitzende der BARMER GEK , Dr. Christoph Straub, mahnt die Krankenhäuser, den ökonomischen Druck für überfällige Strukturanpassungen zu ›nutzen‹. Er schlägt weniger stationäre, mehr ambulante Behandlungen vor, als »beste Voraussetzung, um sich im Markt Wettbewerbsvorteile zu verschaffen«. [67]
Es gibt einen guten Grund für das Ablenkungsmanöver: Die sechsstelligen Bonuszahlungen und eine bis zu 20-prozentige Erhöhung der Bezüge der Vorstände der Krankenkassen.
So viel Verständnis gestresste Pflegekräfte auch verdient haben, man nickt damit mehr ab als die jeweils aktuelle Nachlässigkeit. Und man bringt sich selbst in Gefahr.
Gerade Menschen mit dem Aggressionspotential einer Friedenstaube landen leicht in den Aufmerksamkeits-Outbacks des Klinikpersonals. Solange ein Tag nur 24 Stunden hat und Gott den menschlichen Körper nicht mit noch einem, besser noch zwei Paar Armen nachrüstet, müssen Pfleger und Pflegerinnen zwangsläufig große Unterschiede zwischen den Patienten machen. Unterschiede, die gelegentlich auch über Leben und Tod, ganz oft aber eben auch darüber entscheiden, wie viel Zeit man in vollen Windeln verbringt. Hier das Ranking, wie wir es erlebt haben:
Platz 1: Die Privatversicherten. Sie erhalten nicht zwangsläufig die optimale Behandlung. Aber laut einer Befragung der AOK Rheinland/Hamburg bekommen sie schon bei den niedergelassenen Ärzten deutlich schneller einen Termin. Beim Kardiologen etwa erhielten Kassenpatienten durchschnittlich erst nach 71 Tagen einen Termin, der Privatpatient musste nur 19 Tage warten. Beim Augenarzt gab es einen Unterschied von rund 37 zu 16 Tagen. [68] Zeit genug, um sich zu fragen: Was denkt eigentlich ein Arzt, weshalb man ihn aufsucht? Um das jährliche Veranstaltungsprogramm mit ihm zu besprechen? Um mal zu gucken, ob er noch lebt? Um zu sagen: Ja, es hätte Hautkrebs sein können, aber hetzen Sie sich bloß nicht? Im Krankenhaus ist es nicht anders, so eine Erhebung der Wissenschaftlichen Hochschule Lahr und der Technischen Universität Ilmenau. Dies gilt selbst bei lebensbedrohlichen Krankheiten wie Krebs und akutem Behandlungsbedarf wie einem Knöchelbruch. [69] Als Privatpatient liegt man dagegen längst schon im Zweibettzimmer und hat die meisten Voruntersuchungen bereits hinter sich, ehe noch der erste Kassenpatient bei der Anmeldung seinen Namen genannt hat. Die Vorzugsbehandlung garantiert wie gesagt zwar noch nicht die richtige Behandlung und einen wirklich guten Arzt, wie auch von Dr. Bernd Hontschik ausgeführt. Aber immerhin hat man beim Service schon mal die Nase vorn. (Ich habe solch eine Zusatzversicherung fürs Krankenhaus nach einer großen Kieferoperation abgeschlossen. Damals war es zu Komplikationen gekommen. Während alle Mitpatienten schon längst wieder normal runde Backen hatten, sah ich wochenlang unverändert wie einer dieser Schwellköpfe der Mainzer Fastnacht aus. Niemand konnte mir erklären, weshalb das so war. Der Arzt versuchte es erst gar nicht. Er war praktisch nie mehr an meinem Bett anzutreffen. Ich habe damals sehr viel Zeit in zugigen Fluren und vor Operationssälen herumlungernd damit verbracht, den Operateur wegen einer Stellungnahme aufzutreiben. Sechs Wochen lang wurde alles Mögliche an mir ausprobiert, um die Schwellung in den Griff zu bekommen. Ohne Erfolg. Bis jemand auf die glorreiche Idee kam zu röntgen. Am Ende stellte sich heraus, dass eine der Schrauben der Titanplatten, die man mir eingesetzt hatte, nicht richtig festgedreht war, was zu einer dauerhaften Entzündung geführt hatte. Bei der nächsten Operation war ich dann schon privat versichert und durfte erleben, wie der Herr Professor jeden Tag ganz aus eigenem Antrieb an meinem Bett erschien, während sich draußen im Flur vermutlich härtere Fälle nach seiner Anwesenheit verzehrten. Aber er wollte sich nach meinem Befinden erkundigen und verließ nach »Ganz gut!« sofort wieder den Raum. Zehn Tage lang. Diese Besuche wurden als »Chef-Visite« abgerechnet. Abgerechnet wurde auch das Röntgen der Lunge, das gar nicht stattgefunden hatte, wie ich auch meiner Versicherung mitgeteilt habe,
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