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Sterben Sie blo nicht im Sommer

Sterben Sie blo nicht im Sommer

Titel: Sterben Sie blo nicht im Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constanze Kleis
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Einzelzimmer. Davor steht ein alter Bekannter: ein Rollwagen mit all den Dingen, die wir auch hier überstreifen müssen, ehe wir ihr Zimmer betreten. Die Schwestern und Ärzte empfangen uns sehr freundlich. Wie schon einmal, am ersten Tag in der Reha, fühlen wir uns gut aufgehoben. Und ähnlich wie dort dauert es nicht lange, bis sich die Perspektive grundlegend ändert. Mir fällt die Geschichte von dem Mann ein, der Tomatensuppe hasst. Nun kauft er Kartoffelsuppe und Linsensuppe und Gulasch. Doch egal, was auf der Dose steht, es ist immer dasselbe drin: Tomatensuppe. Auch die Strahlenklinik entpuppt sich schon bald als so ein Tomatensuppen-Albtraum.
    Es ist Ferienzeit, die ohnehin dünne Personaldecke steht kurz vor der Magersucht. Noch so ein Grund, dringend von einem Krebs im Sommer abzuraten: Alle sind im Urlaub. Meine Mutter jedenfalls wird mangels Alternativen von einem Hausmeister und der Sekretärin vom Empfang zur Bestrahlung gefahren. Es dauert eine Weile, bis die beiden Aushilfen das mit zig Kabeln an der Wand vertäute Bett zum Ablegen bereitgemacht haben und wir wegen des MRSA wieder einmal voll vermummt wie eine Marsexpedition die Reise zum Bestrahlungsraum antreten. Die beiden Pflege-Quereinsteiger schieben meine Mutter durch endlose Gänge, und ich frage mich, ob ich vielleicht Brotkrumen hätte mitnehmen sollen, um – wie Hänsel und Gretel es versucht haben – nachher den Weg zurück zu finden. »Ferienzeit!«, schnauft die Sekretärin genervt durch ihren Mundschutz. Alles ist damit aber längst nicht erklärt. Schon gar nicht die Vergesslichkeit der für die Essensvergabe zuständigen Assistentin, eine runde, exzessiv muntere Person. Meine Mutter hat nun zwar eine PEG -Sonde, aber nicht ganz die Lust am Essen verloren und wir nicht die Hoffnung, dass es mit dem Schlucken und Kauen doch noch besser werden könnte. Gleich am ersten Tag also erkundigt sich diese Frau, was meine Mutter gern essen würde. »Eigentlich so gut wie alles«, antworte ich ihr. »Aber es muss püriert sein.« Am nächsten Tag wird meiner Mutter normales Essen serviert. »Hat es Ihrer Mutter denn nicht geschmeckt?« , fragt mich die Assistentin mit betrübtem Blick auf die unberührten Teller. »Doch, es hätte ihr sicher geschmeckt, wenn das Essen PÜRIERT gewesen wäre.« »Ach so!«, sagt die Assistentin und stellt meiner Mutter auch beim nächsten Mal mit einer Beharrlichkeit, die es eigentlich verdient hätte, als olympische Disziplin anerkannt zu werden, normales Essen hin. Jedes Mal fragt sie wieder: »Hatte Ihre Mutter gar keinen Hunger?« Und ich sage: »Doch, aber sie kann gar NICHT GUT KAUEN und nur GANZ SCHLECHT SCHLUCKEN! « »Aber warum haben Sie mir das nicht gesagt?« Ist das hier das Remake von »Und täglich grüßt das Murmeltier«? »Sie hat sicher ein gutes Herz!«, sagt meine Schwester. Ich sage: »Das hat eine Artischocke auch!«
    Manchmal liegen am Mittag noch die Medikamente vom Morgen in dem Tablettenportionierer meiner Mutter. Niemand hatte Zeit, sie ihr zu geben oder mit ihr Morgentoilette zu machen, ihr die Zähne zu putzen. Dabei ist gerade Mundhygiene bei Patienten mit einer PEG -Sonde besonders wichtig. Es kann leicht zu Infektionen im Mundhöhlenbereich wie Mundfäule kommen, wenn man sein Essen nicht mehr in den Mund nimmt, sondern direkt über einen Schlauch in den Magen bekommt. Meine Mutter wird bald den ganzen Mund voller Bläschen haben. Und auch die schon mal langfristig ignorierten, dann übervollen Windeln zeigen Wirkung. Meine Mutter liegt sich wund. Wie bereits in der Reha, ist den ganzen Tag jemand von uns an ihrem Bett. Genau wie gegenüber in dem Zimmer, in dem ein junger Mann von morgens bis abends über einen älteren Patienten wacht, ihn füttert, ihm die Kissen aufschüttelt, seine Hand hält, das Personal entlastet, indem er Dinge tut, für die man, davon war man bislang überzeugt, eigentlich Krankenkassenbeiträge entrichtet. Eine Bekannte, Italienerin, wird später einmal sagen, hier in Deutschland wäre es ja noch Gold gegen das, was sich in den Krankenhäusern ihres Heimatlandes abspiele. »Ohne Bakschisch läuft da gar nichts.« Sogar das Essen hätten sie ihrem kranken Vater mitbringen müssen. »England soll auch schlimm sein!«, souffliert eine andere. Schließlich muss nahezu das gesamte europäische Ausland den Beweis dafür antreten, weshalb Deutschland im internationalen Vergleich nur die allerbesten Kopfnoten verdient: Fleiß, Betragen, Ordnung, Mitarbeit.

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