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Sterben Sie blo nicht im Sommer

Sterben Sie blo nicht im Sommer

Titel: Sterben Sie blo nicht im Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constanze Kleis
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haben, deren Ende man selbst dann nicht erlebt, wenn man sich mit dem Sterben so viel Zeit lässt wie Jopi Heesters.
    Will man trotz allem zu den Richtigmachern gehören und meldet also seine Haushaltshilfe ordentlich an, gilt das deutsche Arbeitsrecht mit allen Konsequenzen: Arbeitszeit- und Mindestlohnregelung nebst Urlaubsanspruch. Das kostet vor allem, was ein unheilbar an Krebs Erkrankter und seine Angehörigen nur selten vorrätig haben: Zeit. Von der Antragstellung bis zum Arbeitseintritt, von Anmeldung der Arbeitskraft beim Einwohnermeldeamt und bei der Krankenkasse, dem Antrag einer Betriebsnummer bei der Arbeitsagentur bis hin zu den Sozialversicherungsbeiträgen, die abgeführt werden müssen, können durchaus ein paar Wochen vergehen. Inzwischen kann man mit einem Schwerstkranken daheim keiner geregelten Arbeit nachgehen und also auch nicht das Geld verdienen, das es kostet, eine Hilfskraft ganz legal zu beschäftigen. Rund 1.400 Euro für eine 38,5-Stunden-Woche. Eine Agentur in unserer Nähe, die ich auf der Suche nach Hilfe anrufe, kalkuliert dafür 2.500 Euro. Die Frau, die zu vermitteln wäre, könne immerhin bestens Deutsch sprechen und sogar Auto fahren. »Das ist doch sehr praktisch, wegen der Einkäufe«, sagt der Vermittler. Einkaufen ist unser geringstes Problem. Und: Von dem Geld kommt am Ende ohnehin nur ein Bruchteil bei der Beschäftigten an. Ausgehend von rund 1.400 Euro bleiben nach Steuern und durchaus üblichen Abzügen für Kost und Logis manchmal nicht mehr als 600 Euro netto. Das ist vielleicht legal, aber für die harte Arbeit indiskutabel. Ähnlich realitätsfern die Vorstellung, die Frauen hätten gern eine Arbeitszeitregelung, wie sie hierzulande für Supermarktkassiererinnen oder Sekretärinnen üblich ist. Die Frauen wohnen meist mit im Haus oder in der Wohnung ihrer Pfleglinge, also fern der Heimat, fern von Freunden, Familie und der Möglichkeit, ihre Freizeit so zu gestalten wie jeder gewöhnliche Arbeitnehmer: in einem selbst gewählten Umfeld. Sie befinden sich in einer ähnlichen Lage wie Beschäftigte von Bohrinseln oder Kreuzfahrtschiffen oder wie die Söldner von Blackwater. Denen würde man ja auch nicht anbieten, es sich ab 16 Uhr im Irak gemütlich zu machen, damit den Arbeitszeitregelungen Genüge getan ist.
    Ja, so schnell schreitet die moralische Verwahrlosung bei Angehörigen mit einem häuslichen Schwerstpflegefall voran. Eben hat man noch für ordentliche Tarifverträge, für Arbeitnehmer- und Arbeitsmarktschutz votiert, sich über Niedrigstlöhne für Friseurinnen im Osten, für Kranken- und Altenpfleger empört. Hätte es als diskriminierend empfunden, erwachsene Frauen bloß mit dem Vornamen anzusprechen und nicht als Frau P., Frau L. oder Frau S. Jetzt hat man eine sterbende Mutter zu betreuen und ist zwangsläufig Mitglied im Fanclub illegaler Beschäftigung zu Bedingungen, die nicht nur die Journalistin Elisabeth Niejahr als moderne Form von Kolonialismus beschreibt. Es könne doch, sagt sie in einer Talk-Runde bei Anne Will, nicht die Lösung sein, Frauen aus Osteuropa zu Dumping-Löhnen im Haushalt zu beschäftigen. Sie zu zwingen, ihre Familien zu verlassen und fremde Menschen zu pflegen, während die eigenen Angehörigen – ihre Kinder und ihre Eltern – monatelang ohne sie auskommen müssten. Was aber wäre dann die Lösung? Das weiß keiner der Gäste in der Sendung zum Thema »Wenn Svetlana Opa betreut – letzter Ausweg illegale Pflege?« [92] »Ich glaube, man muss dafür sorgen, dass mehr Geld gezahlt wird«, wagt Frau Niejahr schließlich einen Vorstoß ins Ungefähre. Aber wer genau soll da mehr Geld bekommen? Ich, damit ich mir eine legale Pflegerin leisten kann? Der Pflegedienst? Egal, wie viel Geld man bekäme, eine Rundumbetreuung wäre nur mit einem Volk von Lottomillionären zu finanzieren. Auf etwa 13.000 Euro monatlich veranschlagt Nare Yesilyurt-Karakurt, die in Berlin eine Firma für »kulturspezifische Hauskrankenpflege« mit über zweihundert Beschäftigten leitet, die Kosten für solch eine 24-Stunden-Pflege. Sie würde fünfeinhalb Mitarbeiter in drei Schichten beschäftigen – theoretisch. Praktisch, so die Pflegeexpertin, könne sich auch ein Pflegedienst so etwas gar nicht leisten. Wegen der Lohnnebenkosten. Bliebe noch das Pflegeheim oder ein Hospiz. Das zieht unsere Familie gar nicht ernsthaft in Erwägung. Meine Mutter möchte nach Hause. Wir möchten sie bei uns haben, und wir alle möchten keinesfalls mehr die

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