Sterben Sie blo nicht im Sommer
ständigen Auseinandersetzungen mit dem jeweiligen Klinikpersonal, die Telefonmarathons mit der Krankenkasse, den Klinikleitungen, dem Sozialdienst. Meine Schwester und ich können uns außerdem nicht mehr allzu lange die erzwungene Arbeitszeitverkürzung leisten. Es führt also beim besten Willen kein Weg an Ursula vorbei; trotz des Pflegedienstes, der nun dreimal am Tag zu Mutter kommen wird und den wir – vorläufig – selbst bezahlen.
Noch ist ja nicht entschieden, mit wie viel oder mit wie wenig Geld sich die Pflegekasse an den Unkosten beteiligen wird. Dazu hätte der Medizinische Dienst zunächst eine Einschätzung des Pflegebedarfs abgeben müssen. Doch der hatte bislang keine Zeit. Natürlich wäre es sehr viel praktischer für uns gewesen, die Klinik, die meine Mutter entlassen hat, hätte ihr nicht nur einen MRSA -Keim, sondern der Pflegeversicherung auch eine verbindliche Einschätzung ihres Zustandes mitgegeben. Noch während der Reha hatte mir die Krankenkasse erklärt, es läge einzig in der Kompetenz der Ärzte vor Ort, zu entscheiden, ob und in welchem Umfang meine Mutter Therapien erhält. Diese Kompetenz scheint allerdings nicht auszureichen, um ihren Zustand auch für die Pflegeversicherung überzeugend in eine der drei Pflegestufen einzuordnen. Nicht unwichtig, denn diese Klassifizierung entscheidet darüber, wie viel Geld die Pflegeversicherung beiträgt. Sie ist wie folgt gestaffelt:
Pflegestufe I erhält, wer täglich mindestens 90 Minuten Hilfe braucht. Beim Waschen, Anziehen, Betten und Essen. Dabei müssen auf die Grundpflege – also auf die Unterstützung bei alltäglichen und lebensnotwendigen Dingen wie Nahrungsaufnahme, Körperpflege, Ausscheidungsvorgängen, Ankleiden oder Zubettgehen mehr als 45 Minuten entfallen. Das Pflegegeld für Angehörige beträgt dann 235 Euro, für einen Pflegedienst bezahlt die Pflegeversicherung 450 Euro, für eine stationäre Betreuung 1.023 Euro.
Pflegestufe II erhält, wer mindestens drei Stunden täglich Hilfe braucht und seinen Haushalt nicht mehr führen kann. Dabei müssen auf die Grundpflege mindestens zwei Stunden entfallen. Pflegegeld: 440 Euro. Pflegedienst: bis 1.100 Euro, stationäre Betreuung 1.550 Euro.
Pflegestufe III erhält man für die Betreuung einer »schwerstpflegebedürftigen Person«, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität täglich rund um die Uhr, auch nachts, der Hilfe bedarf und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfe bei der hauswirtschaftlichen Versorgung. Zeitlicher Mindestaufwand: 5 Stunden täglich, und davon müssen auf die Grundpflege mindestens 4 Stunden entfallen. Pflegegeld: 700 Euro. Pflegedienst 1.550 Euro, stationäre Betreuung 1.550 Euro, in Härtefällen 1.918 Euro.
Als »pflegender Angehöriger« kann man sich für eine Mischkalkulation entscheiden. Man kann den maximalen Betrag für die »Sachleistungen« nicht komplett an den Pflegedienst geben, sondern sich entschließen, vieles selbst zu tun. Die Differenz von dem, was die Kasse der Pflegestufe entsprechend zahlt und der Pflegedienst kostet, geht dann an die pflegenden Angehörigen. Kompliziert? Hier ein kleines Rechenbeispiel: Ein Versicherter in der Pflegestufe II hätte eigentlich Anspruch auf bis zu 1.100 Euro Sachleistungen, also Leistungen des Pflegedienstes. Er nimmt davon aber nur 825 Euro in Anspruch, also 25 Prozent weniger, als er könnte. Diese 25 Prozent beziehen sich aber nicht auf die 1.100 Euro Sachleistungen des Pflegedienstes, sondern auf die 440 Euro, die man als Angehöriger bekäme. Sind dann also 110 Euro, die man bekommt, wenn man selbst Hand anlegt.
Weshalb die beiden unterschiedlichen Summen? Ist ein pflegender Angehöriger etwa weniger wert? Es sei ein Gebot der Fairness, wird argumentiert, hier andere Maßstäbe anzulegen. Die Leistungen eines professionellen Pflegedienstes würden höhere Kosten verursachen als die Leistungen von Angehörigen. Man müsse da ja unter anderem auch die Lohnnebenkosten berücksichtigen. Dafür seien die höheren Maximalbeträge vorgesehen. Ich bin kein Wirtschaftsexperte, aber nach meiner laienhaften Meinung und meiner Erfahrung verursacht die Pflege gerade auch Angehörigen einiges an Kosten: Zeit, Geld, Gesundheit und manchmal auch den Arbeitsplatz. Es ist ja nahezu unmöglich, mit einem Schwerkranken daheim einer Vollzeitbeschäftigung nachzugehen. Zu diesem Ergebnis kommt auch eine Studie, die die Friedrich Ebert Stiftung im Rahmen ihres Zukunftsprojektes
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