Sterben War Gestern
gewartet hatte, und sah den jungen Mann in Weiß fragend an: „Mein Bettlaken?“
„Sie haben ein zusätzliches Bettlaken bekommen, es sollte eigentlich in Ihrem Kleiderschrank liegen. Das bringen Sie bitte immer zu unserer Behandlung mit, um es auf die Liege zu legen. Für heute gebe ich Ihnen einfach ein frisches von uns, das nächste Mal bringen Sie bitte Ihr eigenes mit, ja?“
Er führte sie durch ein Labyrinth von Kabinen, an zahlreichen zurück- und zugezogenen Vorhängen vorbei, bis er vor einem stehen blieb, sie hindurch bat und ihr die Hand reichte: „Ich bin übrigens Paul Riemann, Ihr Masseur.“
Inge Nowak stand unschlüssig vor der kleinen Kabine, die ein großes Fenster mit Meerblick hatte.
„Vielleicht setzen Sie sich erst einmal?“ Er deutete auf die Liege.
Sie reagierte nicht auf seine Aufforderung, sondern sagte jovial: „Hören Sie – ich mag es eigentlich nicht besonders, angefasst zu werden. Kann ich Ihnen einfach freigeben?“
Er lächelte. „Ich fürchte, das geht nicht. Aber ich tue nichts, was Sie nicht wollen, keine Angst.“
„Ich habe keine Angst“, sagte sie unfreundlicher als beabsichtigt.
„Schön.“
Sie setzte sich an das Kopfende der Liege, ließ ihre Beine baumeln und schaute hinaus. Direkt vor ihr erstreckte sich noch einige Meter ein kunstvoll angelegter Garten, dahinter begann der Strand. Einige Patienten hatten Liegen unter Sonnenschirme geschoben, und wer es nicht besser wusste, konnte denken, dass es sich um ganz normale Strandurlauber handelte.
„Was halten Sie davon, wenn ich mich einfach ein wenig mit Ihren Füßen beschäftige?“ Dass er bereits einen kleinen Hocker geholt und sich gesetzt hatte, unterstrich die Tatsache, dass es nur eine rhetorische Frage gewesen war. Ehe Inge Nowak protestieren konnte, hatte er sich ihre Turnschuhe auf die Knie gestellt und die Schnürsenkel geöffnet. Geschickt zog er ihr die Schuhe und Sportsocken aus und positionierte ihre nackten Füße in dem Knick zwischen Leiste und Oberschenkel. Eine angenehme Wärme kletterte in ihr hoch und im selben Moment lief es ihr eiskalt über den Rücken: Nein!
„Hören Sie auf!“, forderte sie ihn auf und musterte ihn feindselig.
Er lächelte wieder, diesmal beinahe mitleidig. „Ihre Füße sind traurig. Ich würde sie gern ein wenig trösten.“
Die sind hier alle übergeschnappt, dachte Inge Nowak. Wahrscheinlich hat es überhaupt keinen Zweck, sich zu widersetzen. Er würde nicht von ihr ablassen, es war einfach sein Job, irgendetwas mit ihr anzustellen. Sie blickte auf den Wecker, der in einer Ecke stand. Fünf der dreißig Minuten waren bereits vergangen. Vielleicht war es das geringste Übel, sich die Füße massieren zu lassen.
„In Ordnung“, lenkte sie ein. „Eine Fußmassage, mehr nicht.“ Ohne seine Reaktion abzuwarten, stand sie auf, breitete das Laken, das er ihr nach Eintritt in die Kabine hingehalten hatte, auf der Liege aus, legte sich hin und schloss die Augen. Irgendwie würde auch das vorübergehen.
Später hätte Inge Nowak nicht sagen können, was er eigentlich mit ihr gemacht hatte. Sie konnte sich nur daran erinnern, dass ihre Füße in seinen Händen verschwunden waren und dass sie gänzlich unerwartet von einer enormen Hitze überrollt wurde, die ihren ganzen Körper zu elektrisieren schien. Gleichzeitig überfiel sie ein Gefühl der Enge, ihr Mund öffnete sich unkontrolliert und sie rang nach Luft. Sie hörte sich geräuschvoll atmen, beinahe nach Luft schnappen. Um sich Platz im Hals zu schaffen, hätte sie gern einen Laut herausgepresst, und je stärker sie versuchte, diesen Impuls zu unterdrücken, umso größer wurde ihr Bedürfnis danach.
„Einfach loslassen.“ Paul Riemanns Stimme klang so weich, wie seine Finger jede einzelne ihrer Zehen berührte, wie seine Hände schließlich ihre Knöchel umfassten, um die Fußsohle an seinen Brustkorb heranzuziehen. Das war der Moment, in dem etwas in Inge Nowak zum Bersten kam. Glassplitter, Feuer, Wassermassen, Gischt – sie bäumte sich auf, hörte sich wie im Traum einen schrillen Schrei ausstoßen, als ob der Ton nicht aus ihr, sondern aus einer Fremden herauskäme, und riss vor Schreck darüber die Augen auf: Zu ihren Füßen saß stumm und ernst der junge Masseur und hielt ihre Knöchel umfasst. Verwirrt sank sie wieder zurück und verschränkte die Arme über dem Gesicht, wie Kinder, wenn sie nicht gesehen werden wollen.
„Es ist alles in Ordnung, Frau Nowak. Ruhen Sie sich einfach
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