Sterben War Gestern
den langen Fluren nach ihr suchten. Stünde ihr Name erst einmal an der Tafel, gäbe es kein Entrinnen mehr und alle würden sie als das betrachten, was sie war – die Schuldige. Sie wachte immer dann auf, wenn die Lehrerin sich mit der Kreide in der erhobenen Hand umdrehte und den Blick auf das Geschriebene freigab. Ihre Augen funkelten eisig blau und anstelle des Mundes leuchtete rot ein geschlossener Reißverschluss.
„Ewald Klee?“
„Hier.“ Er winkte selbstbewusst, und sie war erleichtert, dass er mit von der Partie wäre.
„Inge Nowak?“
„Ja.“ Ihre Stimme klang fest und zugleich fremd.
Der Mensch, der zum Mörder geworden war, hatte nie gedacht, dass er dazu nicht fähig wäre, denn er hielt alle Menschen für grundsätzlich zu allem fähig. Es waren die Umstände, die Kinder, Männer und Frauen, Kranke und Gesunde, Reiche und Arme, Gelehrte und weniger Gebildete zu Monstern machen konnten. Es genügte, wenn der Einzelne sich bedroht fühlte. Dann konnte jeder Gegenstand zur Mordwaffe und jedes Gegenüber zum Opfer werden. Zum Bedauern danach gab es keine Zeit. Zu groß war das Bedürfnis, seine Haut zu retten – früher vor dem Henker, heute vor dem Gefängnis. Jeder Mord, so schätzte der Mensch, der getötet hatte, wurde über kurz oder lang aufgeklärt. Es ging also darum, die Zeit bis zur Überführung zu verlängern, den Moment hinauszuzögern, in dem es an der Tür klingeln oder der Wagen von einer Polizeistreife gestoppt würde. Und trotz dieser Gewissheit träumte auch dieser Mensch von der eher unwahrscheinlichen Möglichkeit, niemals verhaftet zu werden, von einem neuen Leben ohne Vergangenheit. Wenn er erst einmal im Ausland wäre, fort von dem grauen Ostseestrand, an dem alles an die Tat erinnerte und vor allem an die Umstände, die dazu geführt hatten. Natürlich hatte man das eigene Leben in der Hand, und doch traf man Entscheidungen, aus denen sich eine unaufhaltsame Dynamik ergab, die wiederum eine unumkehrbare Kettenreaktion nach sich zog.
Der Mensch sah auf seine Fingernägel. Er hatte sich tatsächlich die Hände schmutzig gemacht, obwohl er es hasste, sie in Mitleidenschaft gezogen zu sehen. Seine Hände hatten stets unter besonderer Obhut gestanden. Nicht nur aus rein beruflichen Gründen, wie man hätte vermuten können. Von klein auf war der Mensch, der gemordet hatte, in seine Hände verliebt gewesen, und im Grunde, dachte er, habe ich schon immer gewusst, dass ich mich bedingungslos auf sie verlassen kann: Die schönen Hände hatten den Holzstiel des schweren Hammers mit Entschiedenheit umfasst, schwungvoll ausgeholt und ihn erbarmungslos hart auf dem Schädel des Opfers platziert. Sie hatten Handschuhe übergestreift, mit Hilfe eines in Stoff gewickelten Backsteins die Heckscheibe eines Autos eingeschlagen und nach einem vollen Benzinkanister und Gummistiefeln gegriffen. Sie öffneten den Kanisterdeckel und ließen ihn achtlos auf den Boden fallen, wie auch den Behälter, nachdem sie das Benzin verteilt hatten. Flinke Finger öffneten die Streichholzschachtel und entzündeten die alles entscheidende Flamme.
Nun taten sie das Gleiche. Der Mensch stand mit seiner Sporttasche vor einem Allesbrenner. Der gusseiserne Ofen brannte schon seit zwei Stunden und die wenigen Nachbarn würden sich vielleicht wundern, warum am späten Morgen aus dem kleinen Haus schon Rauch aufstieg. Noch dazu dunkel gefärbte Schwaden. Wahrscheinlicher aber war, dass niemand es bemerken würde. Und so griffen die wohlgeformten Hände, die weder in der Tatnacht noch danach gezittert hatten, in die Tüte, holten vier Kleidungsstücke heraus, nahmen den Schürhaken und stopften sie durch das geöffnete Viereck. Der Mensch wartete nach jedem einzelnen geduldig, bis das Feuer den Stoff fast aufgefressen hatte, und schob dann das nächste nach. So verfuhr er mit einer Hose, einem Paar Socken, den Innenschuhen der Gummistiefel und einem Pulli. Damit keine Funken auf den Holzboden sprühten, schloss er dazwischen behutsam die gläserne Tür des Ofens, bis er schließlich, nach getaner Arbeit, zufrieden den Griff herumdrehte. Geschafft. Der Mensch, der sich bei alldem nicht ein einziges Mal die Finger verbrannt hatte, fuhr sich erleichtert durch die Haare. Man würde nicht mehr beweisen können, dass er am Tatort gewesen war.
„Die Frau wurde mit einem Hammer erschlagen.“ Dr. Gert Hoffmann hielt den Kommissaren ein viereckiges Stück Eisen hin. „Das ist wohl die Tatwaffe. Wir haben die Reste in
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