Sterben War Gestern
erledigen, wollte es nicht verdursten. Er würde der jungen Frau das Sterben versüßen, sie würde sich im Paradies wähnen, während sie zur Hölle fuhr. Davor aber musste sie noch reden.
Der Mensch bereitete alles dafür vor. Er stellte einen Sessel neben die Luke, schob den kleinen Tisch mit der rot karierten Decke daneben und kochte sich einen grünen Tee. Für eine ehemalige Datscha hatte der junge Besitzer sich wirklich Mühe gegeben. Er hatte die Holzhütte liebevoll renoviert; ein Stromaggregat draußen versorgte Küche und Bad mit warmem Wasser und Strom. Viel Platz bot das Häuschen allerdings nicht: Auf den etwa 15 Quadratmetern waren eine Kochnische, ein durch einen japanisch anmutenden Paravent vom restlichen Raum abgetrenntes Bett und eine kleine gemütliche Sitzecke untergebracht. In dem winzigen Anbau draußen verbarg sich eine Dusche mit allen notwendigen sanitären Anlagen. Die Lage mitten im Wald war einfach hinreißend, mehr Ruhe, keine fünfhundert Meter vom Meer entfernt, konnte man sich kaum vorstellen.
Wie einfach es doch war, in menschlichen Strukturen die Gier zu erwecken. Zwanzigtausend Euro und der Appell an den männlichen Beschützerinstinkt hatten gereicht, um Jens Wiskamp davon zu überzeugen, ein Geschäft ohne Ellen Weyer zu machen. Eine unvorsichtige Frau habe schließlich schon mit dem Leben bezahlen müssen. Den Deal solle man doch lieber ohne sie über die Bühne bringen. Daraufhin hatte Jens Wiskamp die Hütte vorgeschlagen und der Mensch hätte sich keinen besseren Platz aussuchen können, um zu Ende zu bringen, was er angefangen hatte.
Er wartete, bis das Wasser ein wenig abgekühlt war, denn er wusste, dass man die Blätter des grünen Tees nicht verbrühen und daher nicht mit kochendem Wasser aufgießen darf. In diesen Dingen war er sehr sorgsam. Auch die Kerzen hatte er mit Bedacht ausgewählt, sie sollten warmes Licht ausstrahlen und ihn in sanftes Rot tauchen. Er hatte eine CD mitgebracht und hoffte, das billige Abspielgerät würde wenigstens die Idee dessen transportieren, was er in Gustav Mahlers 9. Sinfonie erkannte. Dem Tode nah, im Geiste wach.
In wenigen Stunden, dachte der Mensch, wäre alles vorbei. Und er endlich wieder sorglos.
Inge und Ewald saßen in einem kleinen Bistro am Hafen und tranken den dritten Espresso an diesem Tag.
„Wir beide steigen jetzt aus“, hatte sie nach dem Telefongespräch mit Sylvia Eberstätter gesagt.
Man hatte ihm angesehen, dass er enttäuscht war, aber er wusste, dass sie Recht hatte. „Meinst du, sie unternimmt etwas?“
„Ich schätze, ihr sind die Hände gebunden. Es wird an ihrem Chef liegen.“
„Was würdest du jetzt tun, wenn es dein Fall wäre?“
„Nicht so ruhig hier sitzen. Ich würde die ganze Gegend nach den beiden durchkämmen lassen, zu ihrer Schwester fahren, die Wohnung aufbrechen, Spuren suchen – Gefahr im Verzug.“
„Hast du dich mal richtig getäuscht?“
„Wie meinst du das?“
„Hast du mal die Lage falsch eingeschätzt?“
Augenblicklich war alles wieder da. Das Autowrack, Johanna, Susanne, Verónica, der innere Richter. Wer war sie, dass sie sich hier aufspielte wie Miss Marple auf Strandurlaub? Was pfuschte sie in der Arbeit anderer herum, die ihre Sache mit Sicherheit zehnmal besser machten, als sie es getan hatte? Und wie kam sie dazu, einen gänzlich Unbefugten in Ermittlungen zu ziehen, die nicht einmal die ihren waren? Sie hatte sich zu etwas hinreißen lassen, was ganz und gar nicht richtig war. Und Verónica machte sich sicher bereits Sorgen, weil sie sich nicht meldete.
„Ja, habe ich“, antwortete sie leise.
Statt einer Nachfrage sagte Ewald unvermittelt: „Da ist sie schon, die Kommissarin. Ich gehe dann mal eine Runde spazieren und lasse euch allein. In einer halben Stunde bin ich wieder hier und hole dich ab.“
Bevor Inge etwas entgegnen konnte, war er bereits aufgestanden und gegangen. Vorbei an Oberkommissarin Sylvia Eberstätter, die ihre Berliner Kollegin bereits entdeckt hatte und auf ihren Tisch zusteuerte.
„Hallo, Frau Nowak.“
Inge erhob sich und bot ihr den Platz an, auf dem eben noch Ewald gesessen hatte. „Schön, dass Sie Zeit gefunden haben, gleich herzukommen.“
Sylvia Eberstätter setzte sich. „Kein Problem. Sie sagten doch, es sei wichtig.“
„Ich hoffe, ich kann Ihnen vertrauen.“ Inge räusperte sich, wartete aber keine Reaktion ab. „Aufgrund der Umstände und ob der Tatsache, dass ich sowohl das Opfer als auch dessen
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