Sterben War Gestern
reichte.
„Was?“
„Nichts.“
„Bist du genervt?“
„Wieso?“
„Du machst den Eindruck.“
„Genervt ist das falsche Wort. Es ist, als ob ich eine Ladehemmung hätte.“
„Auf wen willst du denn schießen?“
„Nicht gleich schießen, erst mal Jagd machen.“
„Und auf wen?“
„Auf was“, korrigierte sie ihn. „Auf Informationen. Wir wissen viel zu wenig über die Opfer. Und über ihre Verbindung zueinander. Wenn es denn eine gibt.“
„Stimmt doch gar nicht“, erwiderte Ewald und nahm einen kleinen Ast, der am Straßenrand lag. Damit malte er drei Kreise in den staubigen Feldweg, in dem er die Maschine abgestellt hatte. „Wir haben Angela, Ellen und ihre Schwester.“ Für jede der Frauen schrieb er den Anfangsbuchstaben ihres Vornamens in den Kreis. „E. und L. sind miteinander verwandt und sie hatten etwas zusammen geplant, woraus L. dann ausgestiegen ist. E. und A. kennen sich aus der Klinik. Ob L. und A. sich kennen, ist fraglich. A. und L. kennen beide E. Das heißt: E. ist der Dreh- und Angelpunkt.“
„Wenn Angela und Ellen sich erst in der Klinik kennengelernt haben und Ellen etwas mit dem Tod von Angela zu tun hat, dann steht Angelas Tod in Zusammenhang mit der Klinik“, folgerte Inge Nowak. „Und Lydia wurde erst später involviert.“
„Oder der Mord an Angela hat überhaupt nichts mit Ellen zu tun, sondern war von langer Hand geplant und der Täter will uns glauben machen, dass Ellen die Täterin ist.“
„Warum?“
„Um von etwas ganz anderem abzulenken.“ Er runzelte die Stirn. „Hast du eigentlich ein Gespür für Mörder?“
„Was für ein Gespür?“
„Kannst du einschätzen, ob jemand in der Lage wäre, einen anderen zu töten oder nicht?“
„Wäre nicht jeder in der Lage, einen anderen zu töten, um selbst zu überleben?“
„Geht es denn immer darum zu überleben?“
„Im Grunde schon.“ Inge Nowak beschloss, das Gespräch ernst zu nehmen und sich zum Zeichen ihres Interesses eine Zigarette anzuzünden. „Selbst wenn jemand aus Wut oder Eifersucht tötet, ist es doch immer der Versuch, sich von etwas zu lösen, mit dem er nicht leben kann. Oder zumindest glaubt er das. Jemand weiß zu viel von einem, jemand verletzt das Ego, jemand hat etwas, was man selbst meint, haben zu müssen. So gesehen geht es immer um die Rettung einer Vorstellung von sich selbst, selbst wenn die Idee der eigenen Identität ein Trugschluss ist.“
„Interessant. Das heißt derjenige, der Angela getötet hat, musste sich von etwas befreien.“
„Wahrscheinlich.“
„Und der Mörder von Lydia Kronberg auch?“
„Er selbst wahrscheinlich nicht.“ Sie biss sich auf die Lippen.
„Wieso?“
„Darf ich dir nicht sagen.“
„Glaubst du, ich verkaufe es an die Bild-Zeitung?“
Inge Nowak lächelte. „Nein, das glaube ich nicht. Aber trotzdem sind es interne Ermittlungsergebnisse, die außerdem noch nicht bewiesen sind.“
„Du vertraust mir nicht.“ Demonstrativ setzte er seinen Helm auf und bestieg die Maschine.
Sie legte ihm beruhigend die Hand auf die Schulter. „Doch“, sagte sie. „Ich weiß zwar nicht, warum, aber ich vertraue dir.“ Sie warf ihre Zigarettenkippe auf den Boden und trat sie aus. Marit hätte ihr dafür einen Vortrag über Umweltverschmutzung gehalten, und sie war froh, dass weit und breit niemand war, der sie daran erinnerte, dass sie beabsichtigte, bei der nächsten Bürgermeister-Wahl für eine grüne Kandidatin zu stimmen. „An Lydia Kronberg wollte sich jemand nicht die Hände schmutzig machen und hat es einen Profi tun lassen. Die Sorte Mensch, die skrupellos genug ist, sich Skrupellosigkeit zu kaufen. Es gibt genug Leute, die für Geld töten. Im Übrigen doch auch, um sich von etwas zu befreien: von jeglicher Form der Moral und Verantwortung.“
„Ein Berufskiller?“ Ewald Klee staunte nicht schlecht. Allmählich nahmen die Ereignisse wirklich hollywoodeske Züge an.
„Ich denke schon … Aber keine Angst – er wird schon längst über alle Berge sein. Und gesehen hat ihn wahrscheinlich auch niemand. Den kriegen wir nur, wenn wir herausfinden, wer ein Interesse am Tod des Opfers gehabt haben könnte.“
„Hast du eine Idee?“
„Dieselbe Person, die dem Ehemann von Angela Esser den Mord an seiner Frau unterschieben wollte“, sagte sie. Und plötzlich schien sie etwas zu verstehen: „Nein, hier versucht niemand, Ellen Weyer etwas anzuhängen. Denn wenn sie mich nicht gebeten hätte, sie anzurufen, wäre
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