Sterbensangst (German Edition)
Entschuldigen Sie, wenn ich Sie an einem Sonntag anrufe. Ich wollte Ihnen nur sagen, dass die Fernsehleute sich gemeldet haben, mit denen Fred unterwegs war, als er starb. Es kommt mir alles so, ich weiß auch nicht … irgendwie verkehrt vor. Vielleicht höre ich auch nur das Gras wachsen. Könnten Sie mich zurückrufen, wenn Sie einen Moment Zeit haben? Vielen Dank.
McAvoy klappt das Handy zu. Er weiß, dass er sie zurückrufen und sich ihre Sorgen anhören wird. Die richtigen Geräusche von sich geben und ihr versichern wird, dass er sein Möglichstes tut.
»Etwas Wichtiges?«, fragt Pharaoh.
»Vielleicht«, meint er unsicher. »Ich habe dem ACC einen Gefallen getan. Es ging um die Frau von einem hohen Tier in der Polizeidirektion. Ihr Bruder ist tot aufgefunden worden. Ein alter Fischer. Drehte gerade einen Dokumentarfilm über die Trawler-Tragödien von 1968. Sieht so aus, als wäre er siebzig Meilen vor Island über Bord gesprungen. Sie haben ihn in einem Rettungsfloß aufgefunden. Ich musste ihr die Nachricht überbringen.«
»Armer Hund«, sagt sie nachdenklich. Das Mantra des Polizeibeamten.
»Ich gehe der Sache natürlich in meiner Freizeit nach …«
»Ach, kommen Sie, McAvoy, jetzt machen Sie mal einen Punkt.« In ihrer Stimme schwingt ein stählerner Ton mit.
»Ma’am?«
»Hören Sie, McAvoy«, sagt sie und wirkt plötzlich ungeduldig. »Die Leute wissen nicht, was sie von Ihnen halten sollen. Sie könnten ein zukünftiger Chief Constable sein, oder Spiritus saufend unter einer Brücke enden. Sie sind schwer einzuschätzen. Man weiß nur, dass Sie ein großer Softie sind, der gleichzeitig jeden mühelos in zwei Stücke reißen könnte. Und Sie haben den berüchtigtsten Cop von Humberside seinen Job gekostet. Das erfordert einiges an Qualifikation, verstehen Sie?«
McAvoys Gedanken explodieren wie Feuerwerk vor seinen Augen. Er spürt, wie ihm das Blut in den Kopf steigt.
»Warum jetzt?«, bringt er heraus. »Warum erzählen Sie mir das alles?«
»Das liegt an Ihrer Nachricht wegen der Zeugin, die Sie gerade vernommen haben. Die ganze Zeit hatte ich nur konfuse Anrufe von der Presse, von der Chefetage, von den DCs und den Uniformierten. Dann versuchte ich vergeblich, ein paar zusammenhängende Sätze aus Daphnes Mutter herauszukriegen und zu verhindern, dass sie das Familienalbum vollweint. Und als ich anschließend meine Mailbox abhörte, war die einzige Mitteilung, die ruhig, präzise, unaufgeregt und verdammt interessant klang, die Ihre. Da erfasste mich plötzlich eine Welle der Zuneigung für Sie, mein Junge. Und ich beschloss, Ihnen ein bisschen Liebe zu schenken.« Sie lächelt wieder. »Genießen Sie es, solange es dauert.«
McAvoy merkt, dass er den Atem angehalten hat. Als er ihn ausstößt, hat er fast das Gefühl, als wäre sein Körper mit einem Mal leichter. Er ist von Zuneigung zu Pharaoh erfüllt. Von dem Wunsch, sich ihres Vertrauens würdig zu erweisen.
»Es war die Mühe wert«, sagt er enthusiastisch. »Vicky Mountford, meine ich.«
»Erleuchten Sie mich«, bittet sie.
Ohne nachzudenken nimmt McAvoy den Hut ab und setzt dazu an, seine Tasche von der Schulter zu nehmen. Mittendrin hält er inne, legt den Kopf schräg und sieht seine Vorgesetzte mit einem schiefen Lächeln an. Und zum ersten Mal, so weit er zurückdenken kann, beschließt er, einem Impuls zu folgen.
»Mögen Sie Jazz?«, fragt er.
Der Anschlag ist eine hässliche Mischung aus verblasstem schwarzweißen Text, bekritzelt mit dunkelroten Schmierereien und unvollendeten Graffiti.
BALLSPIELEN VERBOTEN.
Der Besucher von Hulls Orchard Park-Viertel könnte sich fragen, wer diese Anordnung eigentlich durchsetzen will. Ganze Häuserzeilen stehen leer, sind verbrettert und warten auf die Abrissbirne. Manche haben von Rauch und Staub die Farbe vergammelter Früchte angenommen. Andere besitzen keine Türen mehr. Keine Fenster. Stehen stumm Wache über ehemals gepflegten Rasenflächen aus Schlamm und zerbrochenen Ziegeln, die sich zu Minenfeldern voller Glasscherben entwickelt haben.
Die meisten Häuser sind mittlerweile unbewohnt. Irgendwann war das hier einmal eine beliebte Wohngegend. Es gab lange Wartelisten von Familien, die unbedingt in diese hübsche Gemeinschaft mit soliden Häusern, freundlichen Läden und gepflegten Vorgärten ziehen wollten. Selbst als in den sechziger Jahren die Hochhäuser in den Himmel zu schießen begannen, war es immer noch eine gute Adresse für ehrliche, hart arbeitende
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