Sterbensangst (German Edition)
Noch nicht mal Kaffee getrunken.«
Sie beugt sich vor und legt die Hände auf dem Resopaltisch um die große, angeschlagene Tasse mit starkem Tee, die halb geleert vor McAvoy steht. Setzt sie an die Lippen und schlürft lautstark. Verzieht angeekelt das Gesicht. »Ist er auch wirklich süß genug für Sie?«, fragt sie, offenbar besser gelaunt als gestern Nacht.
Sie sind die einzigen beiden Gäste im Pigeon Pie Café, einem weiß getünchten Gebäude mit Glasfront an der Ecke Goddard. Es ist eine ziemlich heruntergekommene Kaschemme mit in Plastik eingeschweißten Speisekarten und Ketchup-Spendern in Tomatenform. Das Tagesgericht scheint entweder Wurst, Speck oder eine Kombination von beidem zu sein. Ein Mekka für alle, die glauben, die kulinarische Evolution hätte ihren Höhepunkt in Baked Beans mit brauner Soße gefunden.
McAvoy hätte nichts lieber getan, als sich ein Sandwich mit Wurst und Spiegelei zu bestellen, aber Roisin hatte ihm ein Frühstück mit Rührei und Räucherlachs auf selbstgebackenem Roggenbrot gezaubert und wäre gekränkt, wenn sie wüsste, dass es kaum eine Delle in seinen Appetit gemacht hat. Deshalb beschränkt er sich auf Tee.
»Wollen Sie etwas essen?«, fragt er.
»Führen Sie mich nicht in Versuchung«, meint sie nicht abgeneigt. »Sie servieren hier ein Magenkiller-Spezial, wissen Sie. Wenn man es schafft, alles aufzuessen, ist es gratis. Niemand hat es bis jetzt geschafft.«
»Haben Sie es mal probiert?«
»Wofür halten Sie mich, Sarge?« Sie schaut indigniert drein, lächelt dann aber und lässt ihn wissen, dass sie nur Spaß gemacht hat. »Tut mir leid, dass ich gestern Nacht so eine blöde Kuh war«, sagt sie und schlürft noch einen Schluck Tee. »Ich hatte mich gerade in den Daphne-Cotton-Mord verbissen, und dann habe ich aus heiterem Himmel einen toten Säufer aus dem Orchard Park am Hals.«
»Ich kann es Ihnen nachfühlen«, nickt McAvoy. Es tut ihm leid, dass man Tremberg die Sache aufgehalst hat. Nicht zuletzt wegen seiner Angst davor, Konversation mit einer Kollegin machen zu müssen. Das ist heute sein größtes Problem.
»Zwei Scheiben Toast bitte«, ruft Tremberg der grobknochigen Frau im blauen Overall hinter der Theke zu. »Mit echter Butter, nicht das verdammte fettarme Zeug.«
»Eine Frau ganz nach meinem Geschmack«, meint McAvoy. »Mein Vater hat behauptet, dass Margarine fast dieselbe chemische Zusammensetzung hätte wie Plastik. Ich weiß nicht, ob das stimmt, aber mir hat es ziemlich den Appetit verdorben. Genau wie die Sache mit den Erdnüssen in Bars, die voller Pipi sein sollen. Ekelhaft.«
Tremberg schneidet eine Grimasse. »Pipi?«, grinst sie.
McAvoy spürt die Röte in seine Wangen steigen und ist dankbar, als Trembergs Toast kommt. »Tut mir leid. Kommt davon, wenn man einen kleinen Sohn hat.«
»Ist ein hübscher Junge, Ihr Fin«, mampft Tremberg. »Und stolz wie Oskar auf Sie. Hatte überhaupt keine Angst, wissen Sie? Ihm war klar, dass in der Kirche etwas Furchtbares passiert sein musste, und er sah Sie zu Boden gehen, aber er hatte keinen Zweifel, dass Sie gleich wieder aufstehen würden. Er sagte, Sie kriegen den Kerl auf jeden Fall.«
McAvoy dreht den Kopf zur Seite, um sein breites Grinsen zu verbergen. »Das liegt an seiner Mutter«, sagt er und erstickt die Worte, indem er den Kopf in seine große Hand stützt. »Hat ihn dazu gebracht zu glauben, ich wäre unzerstörbar. So eine Art Superheld.«
»Besser, als wenn er Sie für eine Nulpe halten würde«, meint sie ganz sachlich. »So denken nämlich die meisten Kinder über ihre Eltern.«
»Ich nicht.«
»Sie sind ja auch ein bisschen seltsam, Sarge. Das weiß jeder.«
Sie sitzen eine Weile schweigend da. McAvoy trinkt seinen Tee aus und sieht zu, wie Tremberg sich die Butter von den Fingern leckt. Sie sind unmanikürt und von keinerlei Schmuck geziert. Sie wirken irgendwie nackt im Vergleich zu denen seiner Frau, die blitzen und funkeln.
»Na, jedenfalls stimmt es«, sagt sie schließlich und putzt sich mit einem Finger die Zähne.
»Was denn?«
»Sie sind unzerstörbar. Das weiß jeder.«
»Was soll denn das heißen?«
»Machte letztes Jahr die Runde«, sagt sie, während sie den Blick hebt und im Stuhl nach vorne rutscht. Sie erwacht vor seinen Augen richtiggehend zum Leben. Wie in einer Art Zuckerrausch von Tee und Toast sprüht sie plötzlich vor Energie. »Als Sie, Sie wissen schon …«
»Was?«
»Sie wurden niedergestochen, nicht wahr? So hieß es zumindest.«
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