Sterbensangst (German Edition)
Worte.
»Wo waren Sie denn stationiert?«, fragt sie aufmunternd, genau wie in einer Verhörsituation.
»Cumbria Constabulary. Droben an der Grenze.«
»Und?«
»Eine Gruppe von Roma ließ sich auf dem Feld eines Bauern an der Straße nach Brampton nieder«, sagt er seufzend. Findet sich damit ab, dass er seine Erlebnisse teilen muss.
»Hübsche Gegend?«
»Nettes kleines Städtchen. Überwiegend konservative Wähler und blauhaarige alte Damen, die nicht gerade begeistert von der Anwesenheit der Roma waren. Mein Sergeant redete mit den Roma. Sagte ihnen, dass es in den Außenbezirken von Carlisle einen offiziellen Lagerplatz für sie gab. Sie meinten, sie würden noch vor Sonnenuntergang verschwunden sein. Alles nette Leute. Vielleicht ein Dutzend Wohnwagen. Ein Haufen Kinder. Roisin muss auch darunter gewesen sein, aber ich habe sie nicht bemerkt.«
Tremberg sieht ihn erwartungsvoll an. »Liebe auf den ersten Blick?«, fragt sie leichthin.
»Sie war noch ein Kind.«
»Ich mach doch nur Spaß, Sarge. Meine Güte.« Tremberg wirkt angepisst. Sie zuckt die Achseln, als wäre es nicht der Mühe wert, aber McAvoy redet bereits weiter. Offener jetzt. Plötzlich verzweifelt nach Worten ringend.
»Sie gingen nicht weg«, sagt er und starrt zum Fenster hinaus. »Stattdessen tauchten noch andere auf. Eine üble Bande. Also ging der Grundbesitzer runter, um zu fragen, warum sie nicht weiterzogen. Sie schlugen ihn zusammen. Er wurde erheblich verletzt, und einige seiner Leute sannen auf Rache. Sie stießen auf Roisin und ihre Schwester, die gerade vom Einkaufen zurückkamen.«
McAvoy legt eine Pause ein. Tremberg bemerkt, wie er den Salzstreuer in die Hand nimmt und mit der Faust umschließt. Seine Knöchel verfärben sich weiß.
»Ich weiß nicht, was passiert wäre, wenn ich nicht so ein verdammter Idiot gewesen wäre«, meint er. Seine Kiefermuskeln treten hervor.
»Wieso?«
»Ich hatte mein verdammtes Notizbuch im Lager verloren«, meint er entschuldigend. »Der Sergeant schickte mich allein zurück, um es zu holen. Ich verfuhr mich. Landete auf einer kleinen Landstraße ein paar Meilen entfernt. Wollte wenden und stieß durch eine Lücke in der Hecke zurück, die die Straße säumte. Da war eine alte Scheune. Löcher im Dach. Sah so aus, als hätte es dort vor kurzem gebrannt. Aber es standen zwei Autos davor geparkt. Das kam mir irgendwie seltsam vor. Niemand hatte dort etwas verloren. Ich weiß nicht, was ich gedacht habe. Hatte nur den Eindruck, dass etwas Übles im Gang war. Also stellte ich den Motor ab, und da hörte ich schon die Schreie.«
»Mein Gott«, sagt Tremberg und wünscht sich beinahe, sie hätte nie gefragt.
»Ich hätte Verstärkung anfordern sollen«, sagt McAvoy und rollt den Salzstreuer zwischen den Handflächen hin und her. »Aber ich wusste, ich durfte keine Sekunde verlieren. Ich dachte nicht nach. Stieg aus dem Auto und rannte hinein. Erwischte sie mittendrin. Diese Bauernjungs, pfeifend und johlend, wie sie ihren Spaß hatten.«
»Mein Gott«, wiederholt Tremberg.
»Ich habe die Beherrschung verloren«, sagt McAvoy und starrt seine Handrücken an.
Tremberg wartet einen Moment lang, aber es kommt nichts mehr. McAvoy sitzt regungslos da; sein normalerweise gerötetes Gesicht ist von einem ungesunden Grau. Sie fragt sich, ob er je zuvor über diese Sache gesprochen hat. Fragt sich, was er mit ihnen angestellt hat, dieser große, sanfte Mann mit der tonnenförmigen Brust, dem vernarbten Gesicht, den störrischen Haaren und dieser großen Liebe zu seiner Frau. Jetzt schämt sie sich beinahe, jemals mitgelacht zu haben, wenn einer der Kollegen einen Witz auf seine Kosten machte.
Sie starrt ihren Teller an, aber es liegt absolut nichts mehr zum Essen darauf.
Sie kommt zu dem Schluss, dass sie McAvoy niemals verurteilen wird, egal, was er in diesem Schuppen getan hat und wie er selbst darüber denkt.
Sie stößt den Atem aus. Trommelt einen schnellen Rhythmus auf die Tischplatte. Versucht, sie beide wieder in die Gänge zu kriegen.
»Wollen wir?«
McAvoy nickt und macht Anstalten aufzustehen. Ihre Blicke begegnen sich kurz. Und einen winzigen Augenblick lang glaubt sie, Flammen in seinen Pupillen tanzen zu sehen; ein brennendes Gebäude, brennende Autos.
Noch während McAvoy und Tremberg über den gepflegten Pfad zur Nummer 58 gehen, öffnet sich die doppelt verglaste Eingangstür. In der letzten Stunde mussten sie sich ein paar Mal auf mehr oder weniger blumige Art anhören,
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