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Sterbensangst (German Edition)

Sterbensangst (German Edition)

Titel: Sterbensangst (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Mark
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verdammten Berichte. Die stehen ihm seit letztem Jahr bis zum Hals. Das war das Jahr, das für ihn in einem Krankenhaus begann, während er auf seine Beförderung wartete. Das Jahr der nicht eingehaltenen Versprechungen, in dem seine Rolle bei der Festnahme eines Serienmörders vertuscht wurde und man ihn hastig auf einen Posten abschob, wo er Daten abglich und abspeicherte, Mittel beschaffte und investierte. Ein Jahr, in dem er sich ständig nur in den Randbezirken echter Polizeiarbeit herumtrieb und sich Mühe geben musste, dass ihm nicht jedes Mal das Herz brach, wenn das Dezernat für Kapitalverbrechen und organisierte Kriminalität gerufen wurde und man ihm befahl, er solle ›das Telefon besetzen‹.
    Sein Bericht für Pharaoh ist bereits ausgedruckt. Er hat ihn knapp gefasst. Leicht verdaulich. Hat seine Intuitionen und Theorien weggelassen.
    Fragt sich, ob er ihr nicht doch lieber alles hätte vortragen sollen. Ihr seinen ganzen Verstand in einem braunen Umschlag überreichen, damit sie sich die besten Brocken selber herauspicken kann.
    Er spürt, wie ihm warm wird. Fühlt Hitze in seinen Zehen aufsteigen. In den Füßen. Knöcheln. Spürt, wie der Schlaf sich anschleicht. Er blättert den Bericht noch ein letztes Mal durch. Ein Blatt fällt heraus, und er greift schnell danach. Es ist die Zeichnung eines einarmigen, einbeinigen Mannes, die Fin vor ein paar Stunden angefertigt hat.
    McAvoy betrachtet das Bild. Seine Energie reicht noch aus für ein Lächeln. Und ein paar Selbstvorwürfe. Ist es richtig, vor seinem Jungen über solche Dinge zu reden? Oder schadet es ihm, wenn er über den Tod spricht, über Gewalt, über einarmige Säufer und einbeinige Reporter?
    Wieder betrachtet er das Bild. Fragt sich, warum er den Mann mit dem fehlenden Arm überhaupt erwähnt hat. Es hatte zu den ersten Details gehört, die aus ihm heraussprudelten.
    »Channler, sagen Sie?«
    Der Akzent des Mannes klang nach reinstem Ostblock. Er war vor McAvoy aufgetaucht wie eine Art gräulicher Schemen, als dieser aus der Seitentür des Pubs trat. McAvoy schob sein Handy wieder in die Tasche, er hatte Chandler gerade eine Nachricht auf die Mailbox gesprochen, in der er ihn bat, sich am Vormittag des nächsten Tages in der Entzugsklinik zur Verfügung zu halten. Er war sich nicht klar darüber gewesen, dass man ihn hören konnte.
    »Chandler, ja«, erwiderte er und versuchte, seine Verblüffung zu verbergen. Noch mehr Mühe gab er sich, den leeren Hemdsärmel zu ignorieren, der quer über der Brust des Mannes festgepinnt war. »Russ Chandler.«
    »Was wollen von Channler? Er nicht kennt Angie.«
    »Miss Martindale wurde heute Abend Opfer eines brutalen Überfalls …«
    Der Mann winkte mit seinem einen Arm ab. Er war groß. Drahtig und zäh. Er hatte ein breites Gesicht, und obwohl er nur ein weißes Hemd und verwaschene Jeans trug, schien er die Kälte nicht zu spüren. Es lag eine seltsame Intensität in seinem Blick. McAvoy erkannte in ihm einen der Männer aus der Bar wieder. Einen von denen, die ihm den Weg versperrt und ein paar Fußtritte versetzt hatten. McAvoy ist angeschlagen, ihm ist kalt, und er hat es satt, dass man ihn ständig mitten im Satz unterbricht. Sein Blick verhärtet sich.
    »Ich Held. Ich halte böse Mann auf, ja?«
    »Du nicht halten böse Mann auf, nein. Du treten Polizist, der versucht, böse Mann zu fangen.«
    »Blödmist.«
    »Nix Blödmist.«
    Sie standen sich gegenüber und starrten sich an, zwei große Männer, Auge in Auge, zornig und vom eisigen Wind zerzaust.
    »Ich Fehler. Nicht Channler. Macht nix.«
    Der Mann hatte sich abgewandt, um zu gehen. McAvoys Hand schoss instinktiv vor, um ihn aufzuhalten, griff aber ins Leere, wo sich der Arm des Mannes hätte befinden sollen. Dann ließ ihn der Zuruf eines jungen Constable herumfahren. Sein Blick fiel auf den beheizten Streifenwagen, der einladend mit geöffneter Tür darauf wartete, ihn heimzubringen. Nach Hause, zu Roisin, zu Fin. Als er sich wieder nach dem Russen umsah, war er von der Menge verschluckt worden, die sich hinter der Polizeiabsperrung drängelte, zwischen Zigarettenrauch und Bierdosen, Chipstüten und nassen Klamotten.
    Irgendjemand würde seine Aussage schon aufnehmen. Ein anderer …
    McAvoy legt die Zeichnung oben auf den Bericht. Mustert das Strichmännchen. Den Stumpf, wo der Arm sitzen sollte.
    »Chandler«, murmelt er vor sich hin. Was hatte der Russe bloß gemeint? War es wichtig? War irgendetwas davon wichtig?
    Der Kopf sinkt

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