Sterbestunde - Hübner, M: Sterbestunde
Ächzend humpelte Koschny zu der Stelle und leuchtete in den Raum. »Hofer ist auch weg.«
»Er lebt?«, fragte Sven ein wenig überrascht.
»Zumindest hat er gelebt, als ich ihn vorhin hier zurückgelassen habe. Aber ich bezweifle sehr, dass er aus eigener Kraft abgehauen ist. Er hat eine ziemlich schlimme Schusswunde.« Der zitternde Lichtstrahl blieb auf einem Schrubber stehen, der neben einem der Regale auf dem Boden lag. Sein Stiel war mit Staub bedeckt. Koschny kniete sich hin und schien unter den Regalen nach irgendetwas zu suchen.
»Könnten Sie mir mal erklären, was Sie da treiben?«, fragte Sven nach einer Weile. »Ihnen ist doch hoffentlich klar, dass dieser Staude sich noch immer hier rumtreiben könnte.«
»Das ist es ja gerade«, entgegnete Koschny düster. »Es könnte nämlich durchaus sein, dass er bewaffnet ist.«
»Ich fasse es nicht! Sie haben dem Kerl auch noch eine geladene Knarre dagelassen«, flüsterte Sven kurz darauf aufgebracht, während sich die beiden vorsichtig an den Regalreihen entlangpirschten und sich bemühten, jeden Winkel auf unliebsame Überraschungen zu überprüfen. Um ein Haar hätte er Mohameds Partner eine zweite Kugel verpasst, als dessen Leiche urplötzlich im schwachen Licht der Taschenlampe aufgetaucht war. Koschny hatte vergessen, ihn darauf vorzubereiten.
»Was hätte ich denn tun sollen? Ich konnte die verdammte Pistole nicht finden, und als ich den Schuss gehört habe, war keine Zeit mehr. Die Polizei war bereits verständigt, und ich wusste, dass die früher oder später hier aufkreuzen würden. Also habe ich es für besser gehalten, nicht untätig hier rumzusitzen und lieber nachzusehen, ob Sie noch am Leben sind.«
»Früher oder später …« Sven schüttelte den Kopf. »Sie wissen hoffentlich, was für ein verdammtes Glück Sie gehabt haben.«
»Ihre Dankbarkeit rührt mich wirklich zu Tränen«, knurrte Koschny verärgert.
Sven brachte ihn mit einem leisen Zischen zum Schweigen. Sie waren an einem Durchgang angekommen, der vom Lager in die Eingangshalle und zu den Laderampen führte. »Geben Sie mir die Taschenlampe«, sagte Sven. »Ich schaue mich mal um.«
Geräuschlos schlüpfte er durch die Kunststofflamellen, die vor dem Durchgang hingen. Die Halle dahinter war nicht groß, doch er konnte im schwachen Licht nicht viel von ihrem Inneren erkennen. Sven leuchtete umher, um sich zu orientieren und mögliche Hinterhalte auszumachen. Aber die Halle war zu unübersichtlich, zu verwinkelt, als dass er jegliche Gefahr hätte ausschließen können. Die Lampe begann zu flackern. Gleich darauf ging sie abermals aus. »Verdammt!«, fluchte Sven. »Auch das noch.« Wütend starrte er in die Dunkelheit. Einen Moment lang glaubte er ein Knirschen vernommen zu haben, doch er war sich nicht sicher, ob er es selbst verursacht oder es sich auch nur eingebildet hatte. Der Alarm war einfach zu laut.
Er machte kehrt und huschte geduckt zu Koschny zurück.
»Was ist mit der Taschenlampe?«, fragte der.
»Hat den Geist aufgegeben«, erwiderte Sven.
»Geben Sie her«, sagte Koschny. Er schlug mit der flachen Hand gegen den Reflektor, worauf das Licht wieder anging. »Ist wie bei Ihnen«, sagte er und grinste. »Sie brauchen auch ab und zu einen Arschtritt, damit Ihnen ein Licht aufgeht.«
»Schön zu wissen, dass Sie noch der Alte sind«, brummte Sven.
»Wie sieht’s da draußen aus? Ist die Luft rein?«
»Kann ich nicht genau sagen. Wir müssen es einfach riskieren.«
»Warum warten wir nicht auf die Polizei?«
»So, wie ich die lieben Kollegen kenne, kann das noch eine Weile dauern. Wahrscheinlich warten die erst auf die Feuerwehr. Und ich will nicht, dass einer von denen hier ahnungslos in eine Kugel hineinläuft.« Wieder sah er sich um. »Wo ist der Ausgang?«
Vage deutete Koschny in die Halle hinein. »Etwa zwanzig Meter, würde ich sagen.«
»Glauben Sie, Sie schaffen einen Spurt bis dahin?«
Koschnys Blick verlor sich in der Dunkelheit der Halle. »Ich glaube, das würde ich jetzt nicht mal mehr mit zwei gesunden Füßen schaffen. Aber was bleibt mir anderes übrig?«
»Ich könnte es erst mal allein versuchen.«
»Das würde den Weg für mich auch nicht kürzer machen. Nein, ich komme mit.«
»Also gut, geben Sie mir die Lampe, ich laufe voraus. Wenn dieser Drecksack wirklich auf uns schießt, dann zuerst auf mich. Sie gehen dann sofort in Deckung, verstanden? Hier.« Er reichte Koschny seine Waffe. »Nur für den Fall, dass ich getroffen
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