Sterbestunde - Hübner, M: Sterbestunde
gut bezahlt wird und sie dabei hin und wieder in den Medien groß rauskommen können. Und in Milenz haben sie einen willkommenen Sündenbock gefunden, der die Öffentlichkeit ruhigstellt. Damit ist Hofer aus dem Rennen, offiziell liegen gegen ihn keine weiteren Verdachtsmomente vor.«
»Aber er könnte ein wichtiger Zeuge sein, der uns sicher einige ungeklärte Fragen beantworten könnte.«
»Tja, die hohen Herren sehen das wohl etwas anders«, meinte Rößner. »Er ist lediglich als vermisst gemeldet.«
»Was ist mit dem Anrufer, der Ihnen den Tipp gegeben hat? Weiß man irgendetwas über den?«
»Nur, dass er einen ausländischen Akzent hatte. Vermutlich Türke oder Italiener.«
Das schränkte die Suche nicht gerade ein. In dieser Region gab es so viele Türken und Italiener wie deutsche Touristen auf Mallorca. Aber immerhin schloss dieser Dialekt die Möglichkeit aus, dass es sich bei Svens anonymem Anrufer um dieselbe Person handelte.
»Und die Waffe? Hat sie eine Geschichte?«
»Das wird noch überprüft. Die Seriennummer war weggeschliffen. Aber die Jungs vom LKA haben da so ihre Methoden. Vielleicht haben wir Glück, und sie finden trotzdem etwas.«
»Sven!«, schallte es durch den Flur. King streckte den Kopf aus der Tür von Svens Büro. »Telefon für dich. Ich hab gesagt, du wärst in einer Besprechung, aber der Mann sagt, es wäre dringend!«
»Wer ist es?«, fragte Sven.
King zuckte die Achseln. »Ich soll dich nur fragen, ob du Appetit auf ein Stück Kuchen hättest. Dann wüsstest du schon Bescheid.«
Einen Augenblick lang verharrte Sven regungslos. Dann warf er Rößner einen kurzen Blick zu und stürzte in sein Büro. Fast wäre ihm vor Aufregung der Hörer entglitten, nur durch einen schnellen Reflex konnte er es verhindern. »Ja, hier Becker«, stieß er hervor.
»Sie sind schwer zu erreichen, Herr Kommissar«, antwortete die Stimme aus der gewohnten dumpfen Ferne.
»Ich habe Verpflichtungen.« Sven hatte sich wieder gefasst.
»Ja, natürlich. Sparen Sie sich die Mühe, meinen Anruf zurückzuverfolgen. Sie werden wenig Erfolg haben.«
Diese Möglichkeit hatte Sven noch gar nicht in Betracht gezogen. Er war viel zu erregt, um derart logische Gedanken fassen zu können. »Keine Sorge, das habe ich nicht vor.«
»Haben Sie meine Nachricht erhalten?«
Sven grübelte kurz. »Welche Nachricht?«
Schweigen.
»Hallo! … Sind Sie noch da?«
»Sie sollten Ihre Post ein wenig sorgfältiger durchsehen«, kam es kaum verständlich zurück.
»Meine Post?« Er stockte. »Waren Sie das, der in meine Wohnung eingebrochen ist?«, fragte er dann mit Nachdruck.
»Jemand war in Ihrer Wohnung?«, wiederholte die Stimme nach einer kurzen Pause. Sie klang bestürzt. »Dann haben die Sie also auch schon im Visier.«
»Wer sind die ?«
Stille.
»Hören Sie«, schlug Sven vor, »warum treffen wir uns nicht einfach, und Sie erzählen mir, was Sie wissen. Das wäre wesentlich unkomplizierter.«
»Ist Ihnen eigentlich klar, was für ein Risiko wir Ihretwegen eingehen?«
»Wir?« , fragte Sven überrascht.
Diesmal entstand eine längere Pause, und Sven konnte förmlich spüren, wie der Anrufer seine Aussage bereute.
»Ich werde mich mit Ihnen treffen«, sagte die Stimme ausweichend, »aber erst, wenn es an der Zeit ist. Bis dahin läuft es so wie jetzt oder gar nicht.« Er klang wesentlich bestimmter als beim letzten Mal.
»Von was für einem Risiko sprechen Sie?«, hielt Sven ihn hin.
»Von demselben Risiko, dem Sie jetzt auch ausgesetzt sind. Überprüfen Sie Ihre Post. Sie werden eine Nachricht von mir finden. Leiten Sie die entsprechenden Maßnahmen ein. Aber seien Sie vorsichtig, wenn Sie nicht wollen, dass Ihnen dasselbe passiert wie Ihrem Kollegen. Ich will mir nicht auch noch Ihren Tod vorwerfen müssen. Mehr kann ich im Moment nicht für Sie tun. Ach, noch etwas … Sie haben den Falschen verhaftet!«
Abermals wurde das Gespräch abrupt beendet.
Koschny saß in der offenen Beifahrertür und hantierte an einem kleinen schwarzen Kasten herum, der ganz oben im Handschuhfach montiert war. Ein quiekendes Rauschen war daraus zu hören, das jäh in kratzige Stimmen überging.
»Sie wissen doch, dass es strafbar ist, den Polizeifunk abzuhören«, bemerkte Sven, als er den Mercedes erreicht hatte.
Koschny schreckte auf und knallte hastig die Klappe des Handschuhfachs zu.
»Wo waren Sie denn so lange?«, fuhr er Sven aufgebracht an. »Ich stehe seit über einer Stunde auf diesem beschissenen
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