Sterbestunde - Hübner, M: Sterbestunde
Umfeld benannt wurden.
Es dauerte fast zehn Minuten, bis Sven zurückkam. In der Hand hielt er eine weiße Pappschale mit undefinierbarem rotem Inhalt.
»Passen Sie bloß auf damit«, warnte Koschny gereizt, noch bevor Sven richtig eingestiegen war. »Und knallen Sie die Tür nicht immer so fest zu. Sie fällt von ganz allein ins Schloss.«
»Regen Sie sich ab, Koschny«, erwiderte Sven, nachdem er missmutig gehorcht hatte. »Das ist schließlich nur ein Auto.«
»Nein«, widersprach Koschny. »Das ist nicht einfach nur ein Auto, das ist ein Mercedes .«
Sven sah mit gespielter Ehrfurcht von seinem Essen auf. »Ich werde mich respektvoll daran erinnern, wenn ich das nächste Mal kotzen muss.«
Koschny schüttelte verständnislos den Kopf. »Dieser Wagen hat etwas, das Sie nie besitzen werden.«
»Was denn? Starallüren?«
»Nein, Sie Prolet, ich rede von Klasse und Eleganz.«
»Wenn das bedeutet, dass ich mich nicht hinter teuren Symbolen verstecke, dann haben Sie wohl recht.«
»Ich verstecke mich nicht«, wehrte Koschny barsch ab.
Sven sah ihn verwirrt an. »Wovon zum Teufel reden wir hier eigentlich? Hab ich irgendetwas falsch gemacht?«
»Ach, vergessen Sie’s. Ich bin einfach nur müde.«
»Hier.« Er hielt dem anderen die Pappschale entgegen. »Sie haben sicher bloß Hunger.«
Koschny verzog angeekelt das Gesicht. »Kein Hunger der Welt könnte mich dazu bewegen, diesen Müll in mich hineinzustopfen. Damit würde ich nicht mal einen Hund füttern.«
»Wie Sie meinen.« Gierig schlang Sven einen Bissen herunter. »Ich dachte nur, es würde Sie aufbauen.«
»Nach den letzten beiden Tagen wären dazu wohl nur ein ausgiebiges Bad und eine Rasur in der Lage. Gestern diese unsägliche Odyssee durch die Kaschemmen dieser Einöde und heute Fahrbereitschaft bei dreißig Grad im Schatten. Und als krönenden Abschluss ein Besuch in Jensens Stammkneipe. Da drin sind Gestalten rumgelaufen, die vermutlich nur nachts rauskommen, weil sie bei Tage in der Sonne verglühen. Was steht morgen an, ein Besuch im Zoo?«
»Sie halten sich wohl für was Besonderes«, knurrte Sven. »Kommen Sie endlich runter von Ihrem arroganten Großstadtgehabe. Damit machen Sie sich hier garantiert keine Freunde.«
»Wer sagt denn, dass ich hier Freunde haben will?«, gab Koschny müde zurück.
»Niemand hat Sie gezwungen, sich hier aufzuhalten.«
»Ja, ja, schon gut. Lassen Sie uns diesen Tag friedlich beenden. Also, was machen wir als Nächstes?«
»Warten«, antwortete Sven mit vollem Mund. »Das ist im Moment alles, was wir tun können. Zumindest in einem Punkt hat sich Milenz’ Aussage bestätigt. Und ich bin sicher, dieser Fettsack, an den sich auch Jensens Stammwirt erinnern konnte und der laut seiner Aussage Jensens kompletten Deckel übernommen hat, gehört eher in Untersuchungshaft.«
Das Heulen einer Sirene näherte sich. In der zunehmenden Dämmerung, die sich wie dunkler Rauch in den engen Straßen niederließ, sah Sven Blaulicht aufblitzen. Dann entfernte sich das Heulen wieder und verhallte schließlich.
»Ein Krankenwagen«, mutmaßte Sven.
»Ich dachte, bei euch wäre es so ruhig und friedlich.«
»Ja, das dachte ich auch«, seufzte Sven und stocherte nachdenklich in seiner Pappschale herum. »Ich frage mich, woher er das gewusst hat?«
»Von wem reden Sie?«, fragte Koschny.
»Der Anrufer von heute Nachmittag. Er hat gesagt, wir hätten den Falschen verhaftet.«
»Na und?«
»Aber wie konnte er von der Verhaftung wissen? Das Ganze war doch gerade mal drei Stunden her, und wir hatten keine Pressemeldung herausgegeben.«
Koschny beugte sich zu ihm herüber und öffnete das Handschuhfach. Dank der Innenbeleuchtung konnte man den kleinen schwarzen Kasten darin erkennen. Koschny drückte den breiten Knopf an der linken Seite. Mehrere Dioden leuchteten auf, und abermals ertönte das krächzende Rauschen vom Nachmittag aus den Schlitzen des eingebauten Lautsprechers. »Was glauben Sie, woher die Presse ihre Informationen hat? Vom Weihnachtsmann? Damit höre ich sämtliche Polizeifunkfrequenzen ab, und zwar glasklar. Solche Scanner können Sie für ein paar Euro bei jedem Internetshop bestellen. Wir leben schließlich im Kommunikationszeitalter.«
»Ich frage lieber nicht, ob Sie eine Genehmigung dafür haben.« Sven drückte einen der Speicherknöpfe neben dem Display. Ein scharfes Knacken ertönte. Dann Stimmen. Kurze, abgehackte Sätze im knappen Funkjargon. Es ging um einen Verkehrsunfall. Ein
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