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Sterbestunde - Hübner, M: Sterbestunde

Sterbestunde - Hübner, M: Sterbestunde

Titel: Sterbestunde - Hübner, M: Sterbestunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Hübner
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Gelegenheit zu besuchen und ihr alles zu erklären. Dann legte er auf und trat ans Fenster seines Büros. Das drückende Gefühl wurde immer stärker, legte sich wie schwere Ketten um seine Brust. Anscheinend hatte Koschny tatsächlich recht. Jemand versuchte ihn zu ködern, ihn auf eine falsche Fährte zu locken und seine Wut weiter anzustacheln, bis er einen Fehler machte und wieder einmal den Falschen verhaftete. Und so etwas tat man in der Regel nur, um von etwas anderem abzulenken. Das aber setzte voraus, dass der Betreffende einiges über ihn wusste. Das Gefühl, beobachtet zu werden, nahm plötzlich beängstigende Ausmaße an. Und während sein Blick über die Straße huschte, fragte er sich, ob er unbewusst Ausschau nach einem dunklen BMW hielt.
    Am vierten Tag versuchte Sven gar nicht, noch einmal im Labor anzurufen. Wenn die Ergebnisse vorlägen, hätte er sie bereits auf dem Tisch, und sei es nur, damit die Laboranten endlich Ruhe vor ihm hatten. Stattdessen studierte er seinen Terminkalender.
    Heute Vormittag standen eine Dienstbesprechung in Rößners Büro und ein Besuch auf dem Schießstand an. Er musste den jährlichen Nachweis erbringen, dass er ein paar Löcher in eine Pappscheibe schießen konnte. Zum Glück hatte die Dienstwaffe an seinem Gürtel bis jetzt nur dazu gedient, ihn beim Sitzen zu drücken. Er hatte sie nie gegen einen Menschen richten müssen (obwohl er bei einigen versucht war, genau das zu tun). Doch wenn die Situation es erforderte, wäre er dazu in der Lage. Zumindest glaubte er das.
    Rasch sammelte er noch ein paar Unterlagen für die Besprechung zusammen, als er den kleinen Umschlag auf seinem Schreibtisch bemerkte, der an ihn adressiert war. Zuerst dachte er sich nichts dabei, hielt es für eine der internen Mitteilungen, die zuhauf auf seinem Schreibtisch landeten und so lebenswichtige Informationen enthielten wie die geänderten Öffnungszeiten der Kantine. Aber dieser Umschlag war anders. Er wirkte irgendwie förmlicher. Er nahm ihn in die Hand und betrachtete ihn prüfend, bevor er ihn öffnete.
    Jemand wollte sich mit ihm treffen. Jemand, der sich offenbar für wichtig hielt. Ort und Zeitpunkt des Treffens waren exakt angegeben, wie bei jemandem, der es gewohnt war, einen strengen Terminplan einzuhalten. Er grübelte gerade über den Namen im Briefkopf nach, als King durch die Nebentür hereinkam.
    »Der ist vorhin für dich abgegeben worden«, sagte er und deutete auf den Brief in Svens Hand, »von so einem Kerl in Anzug und Krawatte. Sah aus wie einer vom Geheimdienst. Legst du dich jetzt mit dem BND an?«
    »Nein.« Sven brachte ein gezwungenes Lächeln zustande. »Nur der Anwalt von irgend so einem Typen, der mich auf Schadenersatz verklagt, weil ich ihm bei der Festnahme die Brille zerbrochen habe.« Er wusste selbst nicht, warum er log. Aber etwas sagte ihm, dass es besser war, solange er nicht genau wusste, was sich hinter diesem Treffen verbarg. Mit Dennis hätte er vielleicht darüber gesprochen, doch der war nicht mehr da. Selbst das gerahmte Foto seiner Eltern war verschwunden und damit der letzte Rest seiner Anwesenheit, die Sven noch bis vor kurzem als selbstverständlich empfunden hatte. Das Leben ging tatsächlich weiter, aber manchmal erschreckte es ihn, wie unbarmherzig schnell es voranschritt. Bald würde jemand anderes dort sitzen und versuchen, Dennis’ Platz einzunehmen. Sven konnte sich nicht vorstellen, dass jemand das schaffen könnte. Doch er musste sich wohl oder übel damit auseinandersetzen, denn dies würde einer der Schwerpunkte in der anstehenden Besprechung sein.
    »Liefern die ihre Schreiben jetzt schon persönlich aus?«, fragte King.
    »Keine Ahnung«, entgegnete Sven. »Wahrscheinlich hatte er gerade hier zu tun.«
    »Der Alte wartet auf uns. Kommst du?«
    »Bleibt mir was anderes übrig?«
    »Na ja, du könntest nach Irland auswandern und Schafe züchten«, meinte King ironisch.
    »Bring mich nicht in Versuchung.« Sven faltete das Papier zusammen und schob es in die Hosentasche. Dann schaute er auf die Uhr. Die Besprechung war noch zu schaffen. Der Schießstand würde warten müssen.
    Zwei Stunden später stellte Sven seinen Wagen auf einem der vielen Parkplätze entlang des Rheinufers ab. Die Besprechung hatte sich länger hingezogen als geplant, so dass er sie schließlich unter einem Vorwand vorzeitig hatte verlassen müssen. Der Verkehr war wie immer heftig gewesen, doch er hatte es gerade noch rechtzeitig zum angegebenen

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