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Sterbestunde - Hübner, M: Sterbestunde

Sterbestunde - Hübner, M: Sterbestunde

Titel: Sterbestunde - Hübner, M: Sterbestunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Hübner
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dieser Effekt der Grundstein zur Bekämpfung des Erregers sein könnte. Staude ist da etwas pessimistischer. Er hat uns auf einen Artikel verwiesen, den er vor ein paar Monaten veröffentlicht hat. Darin beschreibt er die neuesten Forschungsergebnisse auf diesem Gebiet. Ich habe hier eine Kopie des Artikels. Die wichtigen Stellen sind markiert.«
    Er reichte ihnen jeweils einen Ausdruck, auf dem das Foto von Staude nur sehr undeutlich am oberen rechten Bildrand zu erkennen war. Der Text darunter war jedoch gestochen scharf. Einige Stellen waren mit Kugelschreiber eingekreist, darunter immer wieder die Bezeichnung » CD 8-Zellen«. Sven überflog diese Stellen nur flüchtig. Der Text war ohnehin sehr fachspezifisch, so dass es einem Laien nicht leichtfiel, ihn zu verstehen. Im Groben gab er aber nur das wieder, was Sven bereits wusste. Einfach ausgedrückt, waren diese Teilzellen für die Identifizierung von Fremdkörpern im Blutkreislauf verantwortlich. Sobald dies geschehen war, bekämpften sie die Eindringlinge mit einem eigens hierfür produzierten chemischen Cocktail, der den Erreger im Normalfall unschädlich machte. Der Aids-Erreger jedoch entging aufgrund eines geschickten Täuschungsmanövers der Vernichtung. Er nistete sich genau in diesen Zellen ein, begann sie von innen heraus zu zerstören und legte auf diese Weise das gesamte Immunsystem lahm. Ein einfacher Schnupfen konnte das Todesurteil sein.
    Im weiteren Verlauf des Artikels ging Staude näher auf die Patienten ein, die gegen den Aids-Erreger immun zu sein schienen, die von Bremer erwähnten Langzeitüberlebenden. Wie dort zu lesen war, wurden in ihrem Blut vermehrt bestimmte chemische Substanzen festgestellt, die von den CD 8-Killerzellen produziert wurden. Diese Substanzen waren zwar nach wie vor nicht in der Lage, den Erreger abzutöten, aber immerhin verhinderten sie dessen Eindringen in die Zelle, wodurch die eigentliche Krankheit nicht ausbrechen konnte. Und dann stieß Sven auf eine Stelle, die ihn innehalten ließ. Eigentlich war es nur ein Begriff, der dieses seltene Phänomen als den »Levy-Faktor« beschrieb, benannt nach dem amerikanischen Virologen Jay Levy, der schon Mitte der Achtzigerjahre ähnliche Vorgänge bei zentralafrikanischen Affen festgestellt hatte. Seit damals suchten Wissenschaftler auf der ganzen Welt nach ebendiesem Faktor im menschlichen Immunsystem, den sie jetzt bei den Langzeitüberlebenden gefunden zu haben glaubten. Wie gebannt starrte Sven auf diesen Namen, der ebenfalls eingekreist war. Und plötzlich stellte seine Erinnerung die Verbindung her, und er sah zwei Worte deutlich in Erik Jensens kindlicher Handschrift vor seinem geistigen Auge aufblitzen: »Passwort: › Levy ‹ « .

31
     
     
     
     
     
     
     
    K oschny saß in der geräumigen Cafeteria der Secours-Klinik und trank einen Schluck von seinem mittlerweile abgekühlten Kaffee. Seit gut zehn Minuten beobachtete er die junge Verkäuferin, die verdrossen Tortenstücke und Puddingteilchen über den Tresen reichte. Ihre Kundschaft ließ sich in drei Kategorien einordnen: die Zivilisten, die genau wie er nur zu Besuch waren und den gesündesten Appetit an den Tag legten. Die zweite Gruppe bestand aus Ärzten, oder aus solchen, die es einmal werden wollten. Und dann die Patienten, von denen sich die meisten bestimmt wünschten, einer der beiden anderen Gruppen anzugehören. Ihr Anblick ließ die unterkühlte Klinikatmosphäre noch ein wenig kälter wirken.
    Erst jetzt fiel Koschny der Mann an der Kuchentheke auf, der gerade ein großes Stück Schwarzwälder Kirschtorte neben einer Kanne mit Kaffee auf seinem Tablett deponierte. Er wirkte jünger als auf dem Foto. Mittelgroß, kurze, grau melierte Haare, die sich über der Stirn lichteten. Ein glatt rasiertes, ausgeprägtes Kinn und ein Gesicht, dessen klare Züge sowohl Gewissenhaftigkeit als auch menschliche Wärme verrieten. Große, helle Augen, die suchend durch den Raum wanderten.
    »Professor Staude!« Koschny stand von seinem Stuhl auf.
    Der Arzt musterte ihn kurz, bevor er zu ihm herüberkam. »Sind Sie dieser Reporter, der mir am Telefon gesagt hat, er müsse mir dringend einige Fragen stellen, und mir dann gedroht hat, ich würde es bitter bereuen, wenn ich mich nicht sofort mit ihm treffe?« Seine Stimme klang gebieterisch.
    »Ja«, bestätigte Koschny, fast ein wenig beschämt, »genau der bin ich.«
    Staude stellte das Tablett auf dem Tisch ab, begutachtete Koschny ausgiebig und nahm dann

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