Sterbliche Hüllen: Thriller (German Edition)
Würde er auch seinen Sohn benutzen? Gewiss würde Cindy so etwas nicht zulassen. »Wenn die Zahlen nicht einen phantastischen Gewinn für das Museum ausweisen – und im Augenblick tun sie das nicht –, wird aus der ganzen Sache nichts werden.«
Cindy ließ ihren Blick durch das Zimmer schweifen. Ihre Augen ruhten kurze Zeit auf der Fotografie einer Höhlenformation aus Stalagmiten und Stalaktiten, aber Diane bezweifelte, dass sie dieses Bild überhaupt wahrnahm. Als sie Diane danach wieder ansah, waren ihre bisher so sanften Augen hart wie Stein.
»Für Sie ist das Ganze hier doch nur ein Job. Sie verlieren doch nichts dabei, wenn Sie dem Verkauf zustimmen. Andere Leute haben aber eine Menge zu gewinnen – wir, Kevin. Wenn Sie Kinder hätten, würden Sie mich verstehen. Für seine Kinder tut man alles. Wenn Ihnen wirklich an Frank gelegen ist, dann sollte Ihnen auch an seinem Sohn gelegen sein.«
Die Härte und Wut auf Cindy Reynolds’ Gesicht wandelte sich plötzlich in Verwirrung und Furcht. Diane wurde klar, dass ihr eigenes Gesicht deutlich den Zorn und den Kummer zeigte, den Cindys Worte bei ihr ausgelöst hatten.
»Mrs. Reynolds, ich hatte ein Kind, eine Tochter.« Sie umklammerte das Medaillon, das sie um den Hals trug. »Sie ist tot. Ermordet von einem Mann, der gewillt war, Tausende zu töten, um zu bekommen, was er wollte. Ich habe genug von Männern, die glauben, ihr Wille sei wichtiger als alles andere in der Welt. Und die Leute, die diese Sorte Mensch bei ihrem üblen Tun unterstützen, finde ich nicht weniger widerlich. Wenn Sie wirklich eine gute Mutter sind, dann werden Sie Ihren Sohn nicht in diesem Spiel einsetzen, um zu bekommen, was Ihr Mann und Mark Grayson wollen.«
Cindy umklammerte die Armlehnen ihres Stuhls und stand mühsam auf. Ihr zitterten die Beine. »Ich … ich habe das nicht gewusst. Frank hat mir nie etwas davon erzählt.« Sie machte eine Pause und suchte offensichtlich nach den richtigen Worten. »David weiß nicht, dass ich hier war. Ich hoffe, Sie erzählen es ihm nicht.«
»Ich habe nicht den geringsten Grund, mit Ihrem Mann ein Gespräch zu führen.«
»Danke … ich … ich finde den Weg.« Cindy ging durch Andies Büro hinaus. Sie machte einen geschlagenen Eindruck. Diane folgte ihr und sah ihr nach.
Andie saß mit weit geöffneten Augen an ihrem Schreibtisch. »Alles in Ordnung, Diane?«
»Ich nehme an, Sie haben unserem Gespräch zugehört?«
»Ja, unabsichtlich. Ich wusste nicht …«
Diane nahm ihr Medaillon ab und öffnete es. Auf einer Seite befand sich eine verkleinerte Kopie des Fotos von ihr und ihrer Tochter, auf der anderen ein Bild von Ariels sommersprossigem, niedlichem Koboldgesicht. Sie reichte es Andie.
»Das ist meine Tochter Ariel. Sie starb vor etwas mehr als einem Jahr.«
Als Andie das Foto betrachtete, traten ihr Tränen in die Augen. »Sie war ein hübsches kleines Mädchen. Und all diese schwarzen Haare.«
»Ja, das war sie.« Diane nahm das Medaillon und hängte es sich wieder um den Hals. »Ich hätte Ihnen gern schon früher von ihr erzählt, aber es fiel mir sehr schwer, darüber zu reden.«
»Das kann ich verstehen. Es tut mir so Leid.« Andie holte ein Kleenex aus der Schreibtischschublade und schnäuzte sich die Nase. »Ich verstehe nicht, warum Grayson so wild darauf ist, das Museum zu verkaufen. Worum geht es denn da?«
»Offensichtlich um Geld.« Diane zuckte die Schultern. »Ich habe allerdings das Gefühl, dass da noch etwas anderes vorgeht, aber ich habe keine Ahnung, was das sein könnte.« Auf dem Weg in ihr Büro drehte sie sich noch einmal um und fragte Andie: »Erinnern Sie sich noch, dass ich Sie auf der Party gefragt habe, ob Sie wüssten, wer die ›Halle des Bergkönigs‹ bestellt haben könnte?«
Andie dachte einen Moment nach. »Ja, ich erinnere mich … Es sei nicht auf der offiziellen Musikliste, haben Sie gesagt.«
»Nein, war es nicht. Jemand hat dem Quartett einen Zettel zugespielt, mit meinem Namen unterzeichnet. Dieses Stück war Ariels Lieblingsmusik. Sie hat es die ganze Zeit auf einem CD-Player laufen lassen, den ich ihr geschenkt hatte.«
Andies Augen weiteten sich erneut. »Oh Gott, Sie glauben doch nicht, dass jemand … Das ist gemein.«
»Stimmt, das ist es. Es könnte auch Zufall sein.«
»Seltsamer Zufall. Soll ich herauszufinden versuchen, wer das getan hat?«
»Wie?«
»Ich kann mich einfach mal umhören, ob jemand gesehen hat, wie einer diesen Notizzettel hingelegt hat.
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