Stern auf Nullkurs (1979)
„Frag ihn, wofür und wogegen er gekämpft hat. Und frag ihn nach dem Erfolg. Hunderte haben sich eingesetzt wie er, Kregg. Und ihr Erfolg war, daß sie die anderen kennenlernten, diese Astraten. Aber auch sich selbst haben sie kennengelernt, Kregg. Und das ist zumindest ebenso wichtig."
Kalo nickt stumm. In seiner derzeitigen Gemütsverfassung ist ihm jedoch nicht nach Heiterkeit zumute. Seine Gedanken sind ständig unterwegs nach Arktika, wo Pela noch immer in der Klinik liegt.
Schon die bloße Erinnerung an die Krankenhausatmosphäre bedrückt ihn. Die hellen, stillen Korridore, die lautlos über dicke Teppiche eilenden Ärzte mit den selbstvergessenen Gesichtern von Magiern, die Pfleger, das sterile Flair geruchsarmer Antiseptika, vor allem aber Pelas weißes Gesicht, ihr glanzloser Blick, starr an die Decke des Krankenzimmers gerichtet, ihre unkoordinierten Bewegungen und ihr zusammenhangloses Stammeln, wenn sie wach war, und ihr röchelnder Atem, wenn sie schlief.
Nein, er kann nicht in Randolphs Heiterkeit einstimmen, aber zuhören, das kann er. Und er fühlt, wie William Randolphs Optimismus auch ihn mehr und mehr überzeugt.
„Jahrhundertelang hat eine Unzahl von Wissenschaftlern versucht, das kybernetische System Mensch modellhaft darzustellen", dröhnt Randolph. „Und weshalb sind sie bisher alle an diesem Problem gescheitert, weshalb mußten sie scheitern?"
Kregg setzt zu einer Antwort an, aber der Pilot winkt ab. „Das kybernetische System Mensch ist viel zu komplex, als daß es sich in Form mathematischer Modelle darstellen ließe. Heute noch nicht, Kregg. Und morgen auch noch nicht. Und ich finde es gut so."
Kregg schüttelt mißbilligend den Kopf. „Ausgerechnet du mußt solche Weisheiten von dir geben", sagt er.
Randolphs Gesicht wird plötzlich ernst, und in seinen Augen taucht erneut Kälte auf. „Selbstverständlich!" erwidert er. „Ausgerechnet ich. Denn ich muß es besser wissen als jeder andere."
Kregg legt die Hände zusammen, beugt sich nach vorn und fixiert den Piloten.
„In der Tat würde vieles leichter, könnte man menschliches Denken programmieren", sagt er, doch wie er es sagt, klingt es nicht überzeugend.
Randolph nickt. „Aber an der Entscheidung selbst würde es nichts ändern", sinniert er. „Sollte es jemals gelingen, menschliches Denken in Formeln zu kleiden, dann müßten auch die Bereiche der Emotionen programmiert werden. Eben weil wir nicht ausschließlich rational denken, weil unser Gefühl uns manchmal Dinge denken und tun läßt, die nicht unbedingt von Vernunft diktiert scheinen."
„Das ist es, worauf ich rechne", sagt Kregg. „Menschliche Evolution bedarf der Widersprüche, vielleicht nur, um sie lösen zu müssen. Die Tatsache, daß wir Widersprüche brauchen, um leben zu können, ist unsere Chance."
Randolph schüttelt langsam den Kopf. „Und ich rede und rede", murmelt er.
Jetzt lächelt Kregg. „Es tut gut, dir zuzuhören, William", sagt er. „Deine Sicherheit ist ansteckend. Ich wollte, ich wäre der gleichen festen Überzeugung wie du. Aber ich fürchte..."
William Randolph unterbricht ihn mit ungeduldiger Geste. „Ich werde recht behalten", erklärt er. „Das dem System Mensch vorgegebene Programm schließt eine Ablehnung aus." Dann steht er auf. „Laßt uns endlich essen gehen!"
Kalo sieht es an den Mienen der Menschen im Speisesaal, daß man sie kennt, daß man sich mit ihren Problemen beschäftigt. Hin und wieder nickt ihnen jemand zu, an manchen Tischen wird getuschelt, mit dem Kinn verstohlen herübergedeutet. Es ist ein angenehmes Gefühl, zu wissen, daß andere Anteil nehmen.
Kregg beachtet das alles nicht, auch nicht, daß seine Anwesenheit Stoff zu Diskussionen und Vermutungen bietet, Kregg sitzt über seinen Teller gebeugt und ißt ebenso schnell wie intensiv. Bestimmt würde er sich nach dem Essen weder zur Qualität noch zur Quantität der Speisen äußern können, käme jemand auf den Gedanken, ihn danach zu fragen. Kregg pflegt nicht zu speisen, Kregg nimmt Nahrung zu sich, führt seinem Körper die zur Reproduktion notwendigen Stoffe zu, meist mehr, als gut ist, und diese Tätigkeit absolviert er mit der größtmöglichen Geschwindigkeit, ohne aufzusehen, ohne Randbemerkung.
Erst als er den Teller von sich weggeschoben hat, richtet er sich auf und blickt mißbilligend zu den immer noch halbvollen Tellern seiner Nachbarn.
„Kommen wir endlich zu den wichtigsten Themen", sagt Kregg
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