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Stern auf Nullkurs (1979)

Stern auf Nullkurs (1979)

Titel: Stern auf Nullkurs (1979) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Frühauf
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wird?
     
    In der Stunde der Ernüchterung erinnert sich Kalo an vergangene Enttäuschungen, an Aikikos Skepsis, an die mißtrauischen Mienen der Kommissionsmitglieder, die seine ersten theoretischen Arbeiten zu bewerten hatten. Selbst die kleinen Mißlichkeiten seiner Kindheit sind ihm wieder gegenwärtig.
    Denn auch seine Mutter, an der er mit all der Liebe hing, der ein Junge zwischen sieben und fünfzehn Jahren fähig ist, nahm seine Ideen nicht sonderlich ernst. Sie war eine große, starkknochige Frau mit glattem Haar von unbestimmter Farbe, das sich an den Spitzen ein wenig ringelte. Für ihn war sie lange Zeit der Inbegriff weiblicher Schönheit und der Hort einer Art universellen Wissens, das jeden Zweifel an ihrem Urteil ausschloß.
    Fast jeden Monat flog sie einmal hinaus in den Kosmos, um die Sicherheitsanlagen der erdnahen Stationen zu überprüfen. Er war sicher, daß die Mitarbeiter dieser Stationen vor ihr großen Respekt hatten. Ihren warmen, aber unerbittlichen Augen entging bestimmt nicht die geringste Nachlässigkeit. Sie also betrat die Schwelle, die zu jenen anderen führte, von deren Existenz er unerschütterlich überzeugt war. Wenn er sie in kindlicher Unbekümmertheit nach diesen Außerirdischen fragte, dann lächelte sie, als müsse sie sich bei ihm entschuldigen. Dieses Lächeln traf ihn so hart, daß er sich manchmal nach ihren Besuchen in den Schlaf weinte. Aber immer, wenn er lange genug über ihre Reaktionen nachdachte, glaubte er eine Spur von Unsicherheit bei ihr wahrzunehmen, die einzigen Zweifel, die sie je verriet.
    „Da ist nichts, mein Junge", sagte sie meist mit sonorer Stimme auf seine immer wiederkehrenden Fragen und strich ihm mit ihrer großen Hand sacht über das Haar. „Nur Dunkelheit und Leere. Die Sterne sind so unendlich weit entfernt, so unendlich weit..." Er spürte die Sehnsucht in ihren Worten, die gleiche Sehnsucht, die auch ihn trieb, sich immer wieder mit diesem Problem zu befassen. Der selbstvergessene Klang ihrer Stimme versöhnte ihn, denn er spürte, daß auch sie ihre Träume hatte. Aber nie gab sie einen preis. Sie war eben eine Frau, die innerlich und äußerlich gleich stark war. Nie zeigte sie Schwäche, und nie zeigte sie mehr Zärtlichkeit als die beinahe scheue Berührung seines Haares.
    Nach ihren Besuchen fürchtete er tagelang, der Mensch könne wirklich eine einsame Erscheinung im Kosmos sein, ein Spiel des Zufalls, ein Wesen, das nur aus dem Zusammenwirken vieler überaus seltener Ereignisse entstand, die personifizierte Unmöglichkeit. Aber immer wieder klammerte er sich in seinem kindlichen Optimismus an die kleine Unsicherheit in Mutters Stimme, und bis zu ihrem nächsten Besuch hatte er neue Hoffnung geschöpft, sich neue Fragen zurechtgelegt.
    Sie besuchte ihn nicht oft, einmal im Monat oder seltener, während der übrigen Zeit war er in Gesellschaft seiner Kameraden und der Erzieher. Es fiel ihm nicht leicht, seine Gedanken monatelang zu verbergen, aber er lernte schweigen, nachdem er zu spüren bekommen hatte, wie sehr Spott schmerzen kann.
    Zu seinem Vater sprach er nie von seinen Hoffnungen. Vielleicht weil dessen noch seltenere Besuche mehr oder weniger Examina glichen. Den Vater interessierten Fortschritte seines Sohnes, nicht Träume. Später hielt sich Kalo ebenfalls meist zurück, obwohl er darunter litt, niemandem sagen zu dürfen, welche Gedanken er hegte. 
    Auch an jenem Tag, als Kregg ihn in das Büro des Extrakom gebeten und ihm den Einsatzbefehl übermittelt hatte, beachtete ihn keiner der Mitreisenden im Zug nach Riga. Wie sollten sie auch. Sie alle hatten ihre eigenen Sorgen, ihre eigenen Freuden, und die waren ausschließlich irdischer Natur, hatten nicht mit den Sternen zu tun wie die seinen.
    Wie hätten diese Leute im Zug wohl reagiert, hätte er ihnen erklärt, daß er seit Jahren an Modellen arbeitete, die frühestens dann zum Einsatz kommen könnten, wenn man Kontakt zu anderen Lebensformen im Kosmos fand? Daß er seit Jahren Varianten durchspielte, die vielleicht nie angewandt werden würden? 
    Vielleicht hätten auch sie ihm die Frage gestellt, die er stets zu hören bekommen hatte, wenn er ins Schwärmen geraten war: „Was interessiert euch nur an den Sternen? Haben wir denn nicht noch genug Probleme auf unserer alten Erde? Sieh dir den Alten dort drüben an! Er ist betrunken. Weshalb betrinkt er sich? Oder jenen Dicken dort! Weshalb ißt er während der ganzen Fahrt, obwohl er weiß, daß er sich zugrunde

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