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Stern auf Nullkurs (1979)

Stern auf Nullkurs (1979)

Titel: Stern auf Nullkurs (1979) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Frühauf
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uneinholbaren Vorsprung gewonnen. Kein kluges Einteilen der Kräfte oder gar Schonung für den Spurt konnte jetzt noch nützen. 
    Kurz vor dem Waldrand wurde der rote Drachen eine Spur langsamer. Nelen stieg, um über die ersten Baumkronen hinwegzukommen. Aber auch dann konnte er nicht sofort beschleunigen. Er mußte weiter an Höhe gewinnen, wollte er nicht in die heftigen Luftwirbel in der Nähe der Wipfel geraten.
    Nelens roter Drachen war in den letzten Minuten etwas größer geworden. Kalo schlug jetzt mit aller Kraft. Weit ausholend hob und senkte er die Tragflächen, die Rotoren gaben ein hohes Wimmern von sich. Trotz des kühlenden Fahrtwindes bedeckte sich seine Stirn mit Schweiß. Näher und näher schob er sich an den Roten heran. Es bereitete ihm Genugtuung, als ihm ein Blick auf den Höhenmesser zeigte, daß er nur unbedeutend gesunken war. Noch immer flog er weit über Nelen, dessen Drachen jetzt schräg unter ihm über die dunkelgrüne Fläche der Wipfel glitt.
    Auf einer Lichtung standen winkende Menschen. Noch heute erinnert er sich genau an den Anblick. Die Lichtung wirkte wie ein finsterer Schacht im Dämmer des Waldes, die Menschen hoben sich nur als eine Gruppierung leuchtend bunter Kleckse aus dem Dunkel. Ihre Gesichter waren konturenlose helle Flecke.
    Es ist erstaunlich, wie genau sich einzelne Eindrücke oder Gedanken selbst über Jahre hinweg konservieren. Vielleicht ist es die äußerst angespannte Situation, die sie schlaglichtartig aus dem Dämmer hebt und für lange Zeit einprägt. Kalo erinnert sich daran, daß ihn angesichts dieser winkenden Menschen der Wunsch beschlich, aufzugeben, daß er sich die Frage stellte, für wen oder was er sich diese Strapazen aufbürdete.
    Hinter dem jenseitigen Waldrand tauchte die Kuppel des Nuklearwerkes auf. Dort irgendwo mußte sich auch das Ziel befinden. Aber noch war die Entfernung für den Endspurt zu groß. 
    Kalo spürte einen heftigen Schmerz in den Oberarmmuskeln, er wußte, daß er kaum noch in der Lage war, die Schlagfrequenz weiter zu erhöhen, er bewegte die Arme ohnehin nur noch mechanisch. Er biß die Zähne zusammen, als er feststellte, daß das Summen der Rotoren dumpfer geworden war. In den letzten Minuten hatte er sich dem roten Drachen Nelens nicht weiter genähert.
    Dann war die Kraftstation direkt unter ihm. Die Abdeckung der Reaktorkammer lag der Ebene wie ein umgestülpter Teller auf, ringsum standen einige flache Gebäude, sonst war nichts zu erkennen. Die Anlage glitt unter ihm hindurch, ohne daß er seine Umgebung anders als im Unterbewußtsein wahrgenommen hätte. Er sah alles und sah es doch nicht, registrierte keine Einzelheiten, nicht die Menschen, die die Flugstrecke flankierten, nicht die Maschinen, die über die Ebene krochen, nicht die Rakete, die hoch über ihm in ihre Bahn einschwenkte.
    Erst das große, aus sommerlich gekleideten Menschen gebildete Rechteck fiel ihm auf. Das Ziel. Und der rote Drachen flog immer noch vor ihm. Nelen war dem Sieg wesentlich näher als er. Aber Nelen flog noch immer bedeutend tiefer.
    Die Worte des Psychologen fielen ihm ein: „Behalte deine Höhe bei. Geh erst im Spurt in den Fallflug über. Versuch ihn im Ziel abzufangen. Nelen ist sehr stark, auch er wird zu spurten versuchen. Aber er wird ebenso müde sein wie du. Das ist deine Chance. Nimm sie unter allen Umständen wahr, Kalo Jordan."
    Beim Fallfiug pfiffen die Rotoren im Diskant. Mit einer Willensanstrengung, die er selber für unmöglich gehalten hätte, steigerte er die Schlagfrequenz, zwang die schmerzenden Arme auf und nieder, auf und nieder, auf.
    Der Abstand verringerte sich merklich, aber Nelen näherte sich bereits der Absperrung, nur noch wenige Meter trennten ihn vom Ziel, und nur noch wenige Meter lag Kalo hinter ihm.
    Da blickte sich Nelen um. Kalo sah deutlich, wie sich der Mund des Nordländers verzog, wie die Wangenmuskeln hervortraten. Auch Nelen mobilisierte die letzten Kräfte. Die Anstrengung färbte sein Gesicht hochrot. Normalerweise hätte sich Kalo damit begnügt, den bärenstarken Nelen an den Rand einer Niederlage gebracht zu haben, diesmal trieb ihn ein Ehrgeiz, dessen er sich selbst nicht bewußt war. 
    Direkt über den ersten Zuschauern hatte er den Gegner erreicht. Zentimeterdicht glitten die Flügelspitzen aneinander vorbei. Schon begann sich eine unbändige Siegesfreude in ihm auszubreiten, als er seinen entscheidenden Fehler erkannte. Sein Fallflug war zu steil. Die Zuschauer unter ihm zogen

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