Stern auf Nullkurs (1979)
Erfahrung, daß eine zu feste Schnürung der Gurte zu schneller Ermüdung, ein loser Sitz zu Schwierigkeiten bei der Steuerung führte. Zumindest die Muskeln sollten ohne Behinderung gespannt werden können, es war sinnlos, den Flug überhaupt anzutreten, wenn die Gurte straff gespannt waren oder gar einschnitten.
Auf der Nachbarterrasse stand Nelen. Er wirkte noch ruhiger als sonst. Das Treiben der Startvorbereitungen um ihn herum schien ihn nicht im mindesten zu interessieren. Spielerisch bewegte er mehrmals die Pfeilflügel. Das Surren der Rotoren an ihrem Ende war deutlich zu hören, obwohl die Entfernung etwa zweihundert Meter betrug.
Jemand hinter Kalo zählte laut die Sekunden, die noch bis zum Start verblieben: „Vierzig..., neununddreißig..., achtunddreißig..."
„Dein Gegner Nummer eins ist Torre Nelen", hörte er die leise Stimme eines der Psychologen. „Versuch von Anfang an eine größere Höhe zu gewinnen als er. Wie ich ihn kenne, wird er zuerst mit einem flachen Fallflug Geschwindigkeit aufnehmen. Laß dich dadurch nicht verblüffen. Steige sofort und halte die Höhe. Erst im Spurt darfst du den Fallflug einleiten."
„Vierundzwanzig..., dreiundzwanzig..., zweiundzwanzig..."
Kalo blickte sich um. Hinter ihm stand nur der Psychologe, ein kleines, unscheinbares Männchen mit hoher Stirn und hellen Haftschalen, die ihm einen durchdringenden Blick gaben. Die zählende Stimme kam aus dem Lautsprecher.
„Und halte dich vor allem genau an das Programm. Kümmere dich nicht darum, wenn einzelne Piloten vorprellen, sie werden sich schnell verausgaben. Du wirst sie bald wieder eingeholt haben."
„Sechzehn..., fünfzehn..., vierzehn..."
Der Zeitpunkt des Startes rückte näher. Kalo spürte, daß sein Herz heftig schlug. Früher hatte ihn solch ein Wettbewerb nie derartig aufgeregt, weshalb nahm er das heute so ernst? Auch diesmal hing nichts davon ab, ob er siegte oder irgendein anderer.
Ein Helfer trat seitlich von ihm an die Brüstung und legte die Hand an den Hebel, der den schmalen Mauersims nach vorn klappen lassen würde, sobald das Startsignal ertönte. Mit der anderen Hand bedeutete er dem Psychologen zurückzutreten.
„Merk dir jedoch die Leute, die vor dir liegen. Bis ins Ziel mußt du sie alle hinter dir haben." Das waren die letzten Worte, die er von dem kleinen Mann hörte, dann war er allein, ganz allein.
„Sieben..., sechs..., fünf..."
Kalo blickte hinüber zu Torre Nelen und sah, wie der Nordländer in die Knie ging.
Noch während er stand und schaute, wurde die zählende Stimme durch ein abgehacktes Pfeifen ersetzt. Die schrillen Laute schienen sich zu überschlagen, sie drangen in ihn ein, in jede Faser seines Körpers, in jede Zelle seines Hirns, sie versetzten Muskeln und Denken in einen Zustand schmerzhafter Spannung.
Die plötzliche Stille überfiel ihn wie eine lautlose Explosion, sie war wie ein Vakuum, in dem er zu bersten drohte.
Dann spürte er, daß er flog. Mechanisch hatte er sich wohl über die abklappende Brüstung hinweg in die Tiefe fallen lassen. Das Surren der Rotoren steigerte sich zum gedämpften Heulen. Mit kräftigen Flügelschlägen versuchte er Höhe zu gewinnen.
Er blickte nach rechts und links. Niemand flog neben ihm, weder höher noch tiefer, die meisten seiner Konkurrenten waren bereits ein erhebliches Stück zurückgeblieben. Auch die, die im Fallflug auf höhere Geschwindigkeit zu kommen suchten. Er wußte um die Gefahr, die im Verhalten der anderen für ihn lag. In der Anfangsphase des Fluges würden sie sich schonen, die Kräfte klug einteilen, um dann im Spurt alles zu geben. Wenn er sich bis dahin bereits verausgabt hatte, würden sie ihn überholen können. Und zweifellos wäre es schlimm, finge ihn einer seiner Konkurrenten kurz vor dem Ziel ab.
Er beschloß, die anderen zu beobachten, sie zu belauern, immer ein paar Meter höher als sie und eine kleine Strecke vor ihnen zu bleiben und sich doch an ihnen zu orientieren. Aber das ständige Umblicken bereitete ihm Schwierigkeiten und zehrte zudem an seinen Kräften. Weit drüben kam der Waldrand in Sicht. Die waagerecht vom Meer wegwachsenden Kronen der Windflüchter waren selbst aus dieser Entfernung deutlich zu erkennen. Und dann sah er plötzlich, daß über die dem Wald vorgelagerte Buschgruppe ein rotes Dreieck glitt. Nelens Drachen! Nelen lag weit vor ihm. Der Nordländer hatte sie alle überlistet. Wenige Meter über dem Boden fliegend, hatte er einen fast
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