Stern auf Nullkurs (1979)
hindurch er langsam an die Oberfläche seines Bewußtseins steigt, er weiß, daß er gleich erwachen wird, und er will dieses Erwachen hinauszögern, weil er weiter diese Hand halten und diese Stimme hören möchte.
Er ist überzeugt, daß es nur ein Traum sein kann, denn Aikikos Stimme ist weich wie Seide, so weich wie damals, als sie sich kennenlernten, und ihre Hand ist so warm und schmeichelnd, wie sie nur damals war, ganz am Anfang und dann nie wieder.
Ganz nah hört er jetzt ihre Stimme, die nur ein Flüstern ist. „Es ist wahr geworden, Kalo. Endlich! Alles ist so, wie du es vermutet hast. Es gibt sie, diese Anderen, die Fremden, von deren Existenz du stets überzeugt warst. Es gibt sie wirklich. Ich habe dir wohl viel abzubitten, Kalo Jordan."
Selbstverständlich gibt es sie. Alle Welt weiß das seit Wochen, auch Aikiko. Weshalb spricht sie jetzt davon? Will sie ihm sagen, daß es ihr leid tut, ihn einen potentiellen Verlierer genannt zu haben? „Ich mochte es nicht glauben, Kalo. Ich wollte nicht immer erleben müssen, daß du in Euphorie verfielst, sobald auch nur das geringste Anzeichen ihre Existenz möglich erscheinen ließ, und in Depression, sobald sich deine Hypothesen zerschlugen. Ich versuchte, eine gesunde Skepsis in dir zu wecken, um dich vor dem ewigen Auf und Ab deiner Stimmung zu bewahren. Nur hast du das nie begriffen."
Und jetzt? Glaubt sie jetzt endlich, daß die Menschheit nicht allein ist im Kosmos, kein zufälliges Spiel der Natur, sondern nach allgemeingültigen Gesetzen entstandene Form der Materie?
„Ich mußte mich überzeugen lassen", sagt sie. „Ich und viele andere."
Sie werden sich auch davon überzeugen müssen, daß die Astraten keine Gefahr für die Menschheit bilden, sie werden ihre Meinung ändern, vielleicht nicht spontan, aber eines Tages werden sie den Astraten die Hand reichen.
„Mag sein", räumt Aikiko ein. „Das Umdenken hat vielleicht sogar schon begonnen. Die Kurskorrektur des dunklen Sterns..."
Kalo Jordan öffnet die Augen. Wie damals nach dem Streckenflug sitzt Aikiko neben ihm und hält seine Hand, und wie damals sind ihre Augen groß und dunkel.
„Er ist wach!" ruft sie.
Tonders Kopf mit dem Bürstenschnitt erscheint neben ihr. Der Pilot lacht über das ganze Gesicht. „Das wurde aber auch Zeit, mein Lieber. Wir befürchteten schon, es hätte dich erwischt." Die abwehrende Geste Aikikos ignoriert er. „Aber bei deiner sprichwörtlich guten Konstitution hätten wir mit deinem Überleben rechnen dürfen."
Langsam kommt die Erinnerung. Der Ausstieg, das Ding, Sand überall, Hitze und der riesige Pelzberg, ein Felsbrocken, dann nichts.
Kalo Jordan versucht sich aufzurichten, aber plötzlich spürt er einen stechenden Schmerz im Hinterkopf. Kreise drehen sich vor seinen Augen, diese bunten Kreise sind ein schlechtes Zeichen.
Aikiko drückt ihn sanft auf die Liege zurück. „Dazu ist es noch zu früh, mein Lieber! Ein, zwei Tage wirst du dich noch gedulden müssen. Der Helm hat zwar das Schlimmste verhütet, aber mit einer Gehirnerschütterung ..."
„Du hast von Astraten gesprochen..., von einer Kurskorrektor..."
Sie nickt. „Vor vier Stunden traf die Nachricht aus dem Erde-Zentrum ein. Die Astraten haben ein Ausweichmanöver eingeleitet. Astrat bewegt sich jetzt auf einer Hyperbelbahn, die senkrecht zur Ebene der Ekliptik verläuft. Mit jeder Minute entfernen sie sich von der Ebene, in der unser System rotiert. Offensichtlich haben die Astraten die Hoffnung, sich in unserem System anzusiedeln, aufgegeben."
„Es war ihre letzte Chance."
„Sie werden wissen, was für ihre Zivilisation vertretbar ist."
„Ich bin sicher, daß sie keine andere Möglichkeit haben." Wieder versucht er sich aufzurichten, und wieder zwingt ihn der Schmerz auf die Liege. Man muß endlich Kontakt mit ihnen aufnehmen, denkt er. Die Menschheit ist verpflichtet, ihnen zu helfen. Ihr Status verpflichtet sie dazu, der Status der Intelligenz. Er erinnert sich an die Worte, die er während seines Erwachens vernommen hat, Aikikos Worte. „Das Umdenken hat bereits begonnen", flüstert er.
Aikiko nickt. „Die Stimmen derjenigen, die sich für eine Ansiedlung Astrats einsetzen, scheinen sich zu mehren, seit die neue Flugkurve bekannt geworden ist."
Welchem eigenartigen Mechanismus mag die Bildung einer persönlichen Meinung gehorchen? Da beschäftigt sich die Psychologie nun schon seit Jahrhunderten mit diesem Thema, da gibt es Modelle, die nach
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