Stern der Göttin
auf. Da sie in der Nacht beinahe ebenso gut sah wie am Tag, war es leicht, auf direktem Weg zum Ziel zu kommen. Sie kletterte steile Felswände hoch und hangelte sich wieder hinab, ohne ihr Tempo zu mäßigen. Auf diese Weise legte sie in recht kurzer Zeit eine große Strecke zurück, was ihr aus Groms Dorf auch keiner so leicht nachgemacht hätte.
Laisa kicherte bei diesem Gedanken, aber gleichzeitig vermisste sie den alten Katzenmann und seine Schwester Tinka mehr, als sie es sich hatte vorstellen können. Die beiden hatten sie wie ein eigenes Kind aufgezogen und viel Geduld mit ihr bewiesen. Und dennoch kam es ihr bereits nach den wenigen Stunden, die sie in diesem eigenartigen Land verbracht hatte, so vor, als gehöre sie eher hierher als in das eintönige Leben, das Groms Leute führen mussten.
Laisa überlegte gerade, was sie an ihrem Ziel wohl erwarten mochte, als sie irritiert stehen blieb und auf den weichen Boden zwischen ein paar Felsen starrte. Der seltsame zweite Blick, den sie hier besaß, schien sogar die Erde zu durchdringen. Gut eine Handbreit unter der Oberfläche lag etwas verborgen, das verführerisch glitzerte. Sie grub den Boden auf, bis sie einen unansehnlichen Klumpen in der Hand hielt. Laisa schnupperte ausgiebig, denn dieses mit Erde bedeckte Ding roch außerordentlich gut. Für den Augenblick waren das Feuer und die Leute, die es entzündet haben mochten, vergessen. Rasch eilte sie zu einem kleinen Bach, der in aufstiebenden Fontänen eine Felswand herabstürzte, und wusch ihren Fund.
Als es sauber war, leuchtete das Ding genauso golden wie die Augen und das Haar jener geheimnisvollen Frau, deren Schmuckstück sie in dieses Abenteuer gestürzt hatte. Laisa wusste, dass es ein Metall namens Gold gab. Dieses hatten jedoch nur die Kaufleute besessen, während sie selbst es nur aus der Ferne gesehen hatte und schon damals gerne berührt hätte. Dafür betrachtete und beschnupperte sie ihren Fund nun umso ausgiebiger. Der warme Glanz, der das Sternenlicht widerspiegelte, gefiel ihr. Da die halbmondförmige Scheibe Zeichen trug, die jenen auf den Silbermünzen ähnelten, welche die Katzenleute von den Kaufherren für ihre Dienste erhielten, musste es sich um Geld handeln.
Zu ihrer Verwunderung bemerkte Laisa, dass sie die eingeprägten Buchstaben lesen konnte. Welche Bedeutung die Worte »Thilion« und »Evendhil« besaßen, wusste sie jedoch nicht. Es konnte sich dabei um Namen handeln, denn sie umrahmten das eingestanzte Porträt eines Mannes, der eine gezackte Kopfbedeckung trug.
Allein diese Goldmünze war in Laisas Augen dieses Abenteuer wert. Sie schnurrte begeistert, auch wenn etwas in ihr sich fragte, was sie an dem kalten Metall so reizte.
Eine Weile starrte sie sinnend auf ihr Fundstück, dann erinnerte sie sich wieder an den Grund ihrer nächtlichen Reise. Aber bevor sie weiterlaufen konnte, wollte sie das Goldstück gut verstauen. Da sie nichts anderes besaß, steckte sie es ganz unten in ihren Köcher, auch wenn dieses Versteck nicht gerade sicher war.
Um die Sichelmünze nicht zu verlieren, setzte Laisa ihren Weg langsamer und mit weniger verwegenen Sprüngen fort. Als die Nacht fortschritt und weit im Osten ein erster, heller Schein den neuen Tag ankündete, überwog ihre Neugier auf das Neue jedoch die Freude über ihren nächtlichen Fund, und sie griff schneller aus.
☀ ☀ ☀
Obwohl das Feuer am Abend nicht sehr lange gebrannt hatte, vermochte Laisa es immer noch zu wittern. War sie bisher vorwärtsgestürmt, als könne sie es nicht erwarten, auf Leute zu treffen, blieb sie nun für ein paar Augenblicke stehen und schnupperte ausgiebig. Etwas Vorsicht kann nicht schaden, dachte sie und achtete beim Weitergehen darauf, in Deckung zu bleiben. Als sie die Stelle, an der die Fremden übernachtet haben mussten, umkreiste, geriet sie an den Rand einer Wegkreuzung. Eine der Straßen war diejenige, der sie gefolgt war, der andere Weg aber führte von Norden nach Süden. Während die Straße nach Süden ebenso zugewachsen war wie die, der sie bisher gefolgt war, schienen die beiden, die nach Osten und nach Norden führten, von Zeit zu Zeit benutzt zu werden. Den Spuren zufolge waren hier zwei Wagen gefahren, eine in ihren Augen erstaunlich geringe Zahl. Gezogen wurden diese aber nicht von Ochsen, sondern von Tieren, deren Hufe nicht gespalten waren.
Laisa beugte sich über die Abdrücke und sog den Geruch ein. Auch der war ihr unbekannt. Als sie dem Wagenzug ein Stück
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